Über die Praxis der katholischen Kirche in Irland, jungen Müttern ihre unehelich geborenen Kinder wegzunehmen und sie ohne Aussicht auf ein Wiedersehen zur Adoption freizugeben, erzählte schon Peter Mullan in seinem Drama „Die unbarmherzigen Schwestern“. Sein beklemmender Film sparte Gewalt und Schikane nicht aus und zeigte selbstgerecht-sadistische Nonnen im Dienst einer totalitären Macht.
„Philomena“ von Stephen Frears geht schonender, bedächtiger, nicht ganz so parteiisch mit den brisanten Fakten um; in seiner Mischung aus Komik und Sentiment ist er auch unterhaltsamer und konventioneller. Frears’ ergreifendes Drama beruht auf dem 2009 erschienenen Buch „The Lost Child of Philomena Lee“ des Journalisten Martin Sixsmith. Im Film wird Sixsmith von Steve Coogan verkörpert, der zusammen mit Jeff Pope auch das Drehbuch geschrieben und den Film auch produziert hat.
Die Titelfigur wird von Judi Dench gespielt, die zumeist kühle, unnachgiebige Matriarchinnen verkörpert, sei es als „M“ in der James-Bond-Reihe oder als englische Königin in „Shakespeare in Love“. In „Philomena“ ist sie hingegen eine bescheidene, naive und gutmütige alte Frau, die gern Groschenromane liest und Soap-Serien schaut. Seit über 50 Jahren sucht Philomena vergeblich nach ihrem Sohn, der als Dreijähriger adoptiert wurde. Da erhält sie endlich Hilfe von dem arbeitslosen Journalisten Sixsmith, der früher mal Auslandskorrespondent für die BBC und Berater in der Regierung von Tony Blair war. Sein beruflicher Abstieg hat ihn in einen arroganten Zyniker verwandelt, der ebenso unfreundlich wie brüsk ist.
Philomenas Geschichte betrachtet er als gewinnbringenden Aufhänger für eine tränentreibende Titelgeschichte, für ihre Gutgläubigkeit hat er nur beißenden Spott übrig. Ihre Recherche führt die beiden zunächst nach Irland, ins Roscrea-Kloster, wo Philomena als Teenager eingesperrt war. Doch alle Dokumente sind verbrannt, die Nonnen verweigern jede Auskunft. Zufällig erfährt Sixsmith von einem Kneipenwirt, dass das Kloster damals die Babys an kinderlose, katholische Paare aus Amerika verkaufte. Und so reist das ungleiche Paar nach Washington, D.C, um einen Mann namens Anthony zu suchen.
In diese Handlung sind Philomenas Erinnerungen eingebettet, die sie in ihren gelegentlichen Gesprächen mit Sixsmith auffächert: das kurze Abenteuer auf einem hell erleuchteten Jahrmarkt, die Abschiebung ins Kloster; die unentgeltliche Arbeit in einer Wäscherei; die täglichen, aber nur kurzen Treffen mit ihrem kleinen Sohn. Und dann, der erschreckendste Moment des Films, muss Philomena aus dem Fenster mitansehen, wie ein wohlhabendes Paar Anthony im Auto mitnimmt. Verkauft für 1000 Pfund.
„Philomena“ funktioniert auf mehreren Ebenen. Einmal als komisches Road Movie, in dem sich Dench und Coogan mit der Gegensätzlichkeit ihrer Figuren die Bälle zuwerfen und mit trockenem Humor das Pathos und die anrührenden Momente des Films auffangen. Dann gibt es die detektivische Recherche, die in einer schönen Kreisbewegung wieder zurück führt nach Roscrea. Doch die Aufdeckung der Wahrheit gestaltet sich schwierig, weil sich niemand dafür interessiert, weder die Zeitung, die nur eine anrührende „Human Interest“-Story drucken will, noch die Ordenschwestern, die zu viel zu verbergen haben, aber auch Sixsmith nicht, für den dies zunächst ein Auftrag wie alle anderen ist. „Philomena“ ist aber auch eine wütende Anklage gegen ein System, das Frauen unterdrückt und bestraft, nur weil sie vorehelichen Sex hatten, und ihre Sklavenarbeit als Kompensation für die Geburtshilfe rechtfertigt. Die Inszenierung balanciert die unterschiedlichen Töne geschickt aus, nicht so radikal und anklagend wie Peter Mullan, aber doch so, dass der Film der Komplexität des Themas gerecht wird. Allmählich schält sich dann auch das moralische Zentrum des Films heraus: Trotz ihrer unmenschlichen Behandlung durch die Kirche ist Philomena Lee unerschüttert in ihrem Glauben. Dazu zählt auch ihre Bereitschaft, ihren Peinigern zu vergeben.