Zwei Brüder kehren als Erwachsene in ihr Elternhaus an der Nordsee zurück, wo sie als Kinder Opfer bzw. Zeuge häuslicher Gewalt waren. Ihre Mutter wird bald aus dem Gefängnis entlassen, in dem sie wegen der Tötung ihres gewalttätigen Ehemannes einsaß. Während der ältere Bruder auf einen familiären Neuanfang hofft, weist der Jüngere solche Anwandlungen brüsk zurück. Ein intensives, zwar etwas konstruiertes, aber von subtilen und durchdachten Darstellerleistungen getragenes Kammerspiel, das sich viel Zeit lässt, die mühsame Annäherung der Brüder als Konsequenz der Vergangenheit zu zeigen.
- Ab 16.
Nordstrand
Drama | Deutschland 2013 | 93 Minuten
Regie: Florian Eichinger
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Bergfilm Prod./Radio Bremen
- Regie
- Florian Eichinger
- Buch
- Florian Eichinger
- Kamera
- André Lex
- Musik
- André Feldhaus
- Schnitt
- Jan Gerold
- Darsteller
- Daniel Michel (Volker) · Martin Schleiß (Marten) · Luise Berndt (Enna) · Anna Thalbach (Mutter) · Rainer Wöss (Vater)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 23.01.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Das Haus in den Dünen an der Nordsee ist schon länger unbewohnt. Marten hat alle Hände voll zu tun, als er seinem verlassenen Elternhaus an der Nordsee nach langer Zeit einen Besuch abstattet. Marten, Musiker um die 30, erwartet seinen jüngeren Bruder Volker. Es stehen wichtige, in die Zukunft weisende Entscheidungen an. Doch zuvor müssen die Brüder, die sich offenbar ebenfalls sehr lange nicht gesehen haben, ein Verhältnis zueinanderfinden. Während Marten dem jüngeren Bruder mit herzlicher, geradezu aufdringlicher Empathie entgegentritt, reagiert Volker auf derlei Vertraulichkeiten brüsk und schroff zurückweisend. Marten will „die Familie“ zurück, während Volker schon Vorbereitungen getroffen hat, das Haus zu verkaufen. Er brauche Geld und habe ansonsten mit der Geschichte abgeschlossen. Aber es gilt, eine Unbekannte im Spiel zu bedenken, denn es gibt auch noch eine Mutter, die vielleicht ein Wort mitzureden hat, wenngleich sie erst in ein paar Wochen „entlassen“ wird.
Früh bringt der zweite Spielfilm von Florian Eichinger Erinnerungen ins Spiel, die recht eindeutige Spuren legen, was sich in dem Haus einmal abgespielt hat. Verstohlene Blicke durch angelehnte Türen auf körperliche Auseinandersetzungen, die „harmlos“ als Kraftprobe beginnen und dann in Gewalt umschlagen, vor der man die Augen verschließt, in andere Räume ausweicht, nicht zu Hilfe eilt, nicht zur Rede stellt. Der jüngere Sohn Volker, so wird bald klar, war häufig das Opfer väterlicher Gewaltausbrüche, bevor die Mutter dem bösen Treiben ebenso gewaltsam ein Ende setzte. Auf der Insel kursieren Gerüchte, was damals geschehen ist. Wenige Nebenfiguren etablieren einen überschaubaren Resonanzraum. Die Brüder kamen in eine Pflegefamilie, verloren sich dann aus den Augen. Marten, aufgrund seiner damaligen Passivität von Schuldgefühlen gegenüber dem jüngeren Bruder geplagt, hielt Kontakt zur Mutter, während Volker sich einen Panzer zulegte, der seine Opferrolle in eine diffizile Machtposition ummünzte.
Weil sich die „Eckdaten“ der hier verhandelten Vorgeschichte problemlos erschließen, bekommt man viel Zeit, sich ein Bild über die Konsequenzen des Vergangenen für die Gegenwart zu machen und der mühsamen Annäherung der beiden Brüder zu folgen. Als dramaturgisches Mittel sorgt eine schwere, ironischerweise vom Vater ererbte Erkrankung Martens für etwas Dynamik in diesem intensiven, von bedachten Darstellerleistungen (herausragend spröde: Daniel Michel) getragenem Kammerspiel. Eichinger hält den Konflikt in der Schwebe, bewertet nicht – und geht immer wieder auf wohltuende Distanz zu seinen Figuren, um das Komplexitätsniveau seiner Familienaufstellung mit zwei Unbekannten zu wahren.
Das bleibt auch dann noch so, als sich gegen Ende die Ereignisse überschlagen: Volker hat eine höchst widersprüchliche, ja geradezu provozierende (und vielleicht auch etwas zu spektakuläre) Botschaft an seine Mutter, die ausgerechnet Marten übermitteln soll. Marten, davon abgestoßen, wählt einen Ausweg, um den offenen Konflikt zu lösen, der ihn zum Verlierer stempelt. Volker verhindert zwar das Schlimmste, um dann zum Abschied zu sagen: „Mach Dir keinen Kopf! Ich war nie anders.“ Man glaubt ihm kein Wort, zweifelt sogar, dass es sich um Abschiedsworte handelt. Aber sicher kann man sich längst nicht mehr sein.
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