Nach all seinen cineastischen Höhepunkten scheint das Ende der 1960er-Jahre mit dem New Hollywood Cinema entstandene Road Movie eigentlich auserzählt. Doch nun gewinnt ein „kleiner“ niederländischer Film dem oft kopierten Genre neue Reize ab. Seine Geschichte hört sich, abgesehen von dem während des Titelvorspanns erzählten Prolog, eher konventionell an: Vor über 30 Jahren kamen die Zwillingsschwestern Sofie und Daan als Töchter einer Leihmutter zu Welt, die von zwei schwulen Holländern angeheuert wurde; kurz nach der Geburt kehrte das Hippie-Mädchen Jackie wieder in die Staaten zurück. Die Zwillinge hören von ihr erst wieder, als ein Krankenhaus aus Santa Fe sich meldet: ihre Mutter müsse wegen eines komplizierten Beinbruchs in ein weit entferntes Reha-Zentrum gebracht werden. Da Sofie und Daan anscheinend die einzigen Angehörigen sind, machen sie sich auf den Weg. Sofie etwas widerwillig, hatte sie Jackie doch stets nur als „Gebärmutter“ bezeichnet. Außerdem ist sie gerade dabei, als Redakteurin eines Lifestyle-Magazins die Karriereleiter emporzusteigen. Daan hingegen ist etwas neugieriger gestimmt; sie träumte von Jackie öfters als einer Art weiblichem „Indiana Jones“, mit der es viele Abenteuer zu bestehen galt. Die erste reale Begegnung ist allerdings ein Schock, lebt die gealterte Hippie-Frau doch ziemlich verwahrlost in einem Campingbus. Da ihr kaputtes Trommelfell jeden Flug unmöglich macht, kommt ihr klappriges Wohnmobil zum Einsatz – und das Road Movie zu seinem Recht.
Im Film ist Daan zehn Minuten jünger als ihre Zwillingsschwester Sofie. Im wahren Leben ist Jelka van Houten (Daan) die zwei Jahre jüngere Schwester von Carice van Houten (Sofie). Diesr Besetzung verleiht den lange unter der Decke gehaltenen Auseinandersetzungen der beiden unterschiedlichen Frauen etwas Authentisches, weil sie einen Hauch Improvisation und innere Wahrheit atmen. Besonders Carice van Houten glänzt als charismatisch-präsente Figur, die neben einem Hollywood-Star wie Holly Hunter gut zu bestehen vermag. Der sensiblen Inszenierung von Antoinette Beumer ist es zu verdanken, dass die hierzulande noch unbekannte Jelka van Houten zwischen diesem übermächtigen Duo nicht zerrieben wird.
Beumer versteht es in ihrem zweiten Spielfilm geschickt, die Topoi des Genres zu bedienen, ohne in Klischees zu verfallen. Droht einmal doch Gefahr, ihnen zu erliegen wie bei einer dramaturgisch überflüssigen Beinahe-Vergewaltigung, kriegt sie noch rechtzeitig die Kurve, bevor es abgeschmackt wird. Nicht zuletzt tragen auch stimmigen CinemaScope-Bilder von Danny Elsen dazu bei, dass der Film wie aus einem Guß wirkt. Überdies atmet er trotz einiger dramatischer, aus der Distanz gefilmter Momente eine große Leichtigkeit beim Unterwegssein in der eigenen und fremden Seelenlandschaft. Was auch daran liegt, dass das Drehbuch die Rollen nicht tiefenpsychologisch überstrapaziert, sondern ihnen etwas Allgemeingültiges verleiht. Das schlägt sich auch in den frechen Dialogen nieder, in denen Sofie und Daan per Webcam mit ihrem Chef bzw. Ehemann kommunizieren. Oder in den wortkargen, lange Zeit stummen Annäherungsversuchen an die auch seelisch beschädigte Mutter. Und als eine Bande weiblicher „Easy Rider“ als rettende Engel im Wüstensand erscheint, ruft der Film, durchaus genderkorrekt, jene nostalgischen Erinnerungen wach, denen man sich als Filmfan so gerne hingibt. Der überraschende Schluß gehört dann nicht nur einer der berührendsten Szenen des gegenwärtigen Kinos, sondern lässt auch über den Begriff der „Mutter“ fernab jeder Sentimentalität neu nachdenken.