Drama | Hongkong/VR China/USA/Frankreich 2013 | 123 (24 B./sec.)/118 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Wong Kar-wai

Leben und Kampfkunst des chinesischen Kung-Fu-Meisters Ip Man (1893-1972) im Spiegel der melancholisch-meisterhaften Kinopoesie Wong Kar-wais. Die Inszenierung folgt chronologisch dem Schicksal Ip Mans, der durch die japanische Invasion im Jahr 1936 nicht nur seine Familie, sondern auch den Kontakt zu seiner großen Liebe Gong Er verliert. Ein hochästhetisiertes Liebes- und Historiendrama, das untergründig um die Frage der politischen wie künstlerischen Einheit Chinas kreist und in der Kombination aus Beschleunigung und Verlangsamung einem romantisch-ekstatischen Ideal huldigt. (Auch teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
YI DAI ZONG SHI | THE GRANDMASTER
Produktionsland
Hongkong/VR China/USA/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Annapurna Pic./Block 2 Pic./Bona International Film Group/Jet Tone Prod./Sil-Metropole Organisation
Regie
Wong Kar-wai
Buch
Wong Kar-wai · Xu Haofeng · Zou Jingzhi
Kamera
Philippe Le Sourd
Musik
Nathaniel Méchaly · Shigeru Umebayashi
Schnitt
William Chang · Benjamin Courtines · Poon Hung-Yiu
Darsteller
Zhang Ziyi (Gong Er) · Tony Leung (Ip Man) · Wang Qing-Xiang (Gong Baosen) · Chang Chen (The Razor) · Hye-Kyo Song (Zhang Yong-Cheng)
Länge
123 (24 B.
sec.)
118 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
27.06.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm | Historienfilm
Externe Links
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Heimkino

Die umfangreichen Extras umfassen u.a. die Dokumentation "Auf den Spuren der Großmeister" (32 Min.) sowie längere Interviews mit Ziyi Zhang (9 Min.), Tony Leung (13 Min.) und Wong Kar-Wai (12 Min.).

Verleih DVD
Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 Mandarin/dt.)
Verleih Blu-ray
Universum (16:9, 2.35:1, dts-HDMA Mandarin/dt.)
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Diskussion
Es ist Nacht und es regnet in Strömen. Ein Mann steht draußen auf einer düsteren Straße. Seine Kleidung – Anzug, schwarzer Mantel, Panama-Hut – deutet die Mode der 1920er-Jahre an. Der Mann steht allein, umringt von einem Dutzend anderer in bedrohlicher Haltung. Ein Kampf scheint unmittelbar bevor zu stehen. Aus sicherer Distanz beobachtet eine Gruppe älterer Männer das Geschehen. Die Kamera dehnt die Zeit, zeigt auf den Asphalt prasselnde Regentropfen in Großaufnahmen, die Gesichter der Menschen, die Blicke, die sie sich zuwerfen, mit denen sie Maß nehmen für das Bevorstehende. Dann bricht es los: Schnelle Schlagfolgen finden ihre Entsprechung im plötzlich beschleunigten Schnitt, in einem Bilderwirbel, der dennoch nie die Orientierung raubt. Kleine Sekundenbruchteile, in denen das Bild stehenbleibt, mit Perspektiven auf Einzelheiten, eine Hand oder eine Pfütze, und kurzen Zeitlupen, die ein Innehalten erlauben. Alles ist konkret leiblich und doch hoch stilisiert: Glieder knacken, Menschen werden gestoßen, Körper fliegen durch den Raum, eine Rikscha zerbirst, ein Metallgitter bricht entzwei. Am Ende steht nur noch einer – und geht mit federnd-beschwingtem Gang von dannen. Der Mann, durch die Kameraführung unzweideutig als Held etikettiert, hat die Gruppe besiegt. Die alten Herren im Hintergrund murmeln anerkennend etwas von der „neuen Hoffnung des Südens“. Die allererste Szene setzt den Grundton: eine Übung in visueller Coolness, in zurückgenommener, hochdisziplinierter Ästhetisierung, auch für den Regisseur Wong Kar-wai, der nach seinem enttäuschenden Ausflug ins (typische US-amerikanische)Genre des Road Movie („My Blueberry Nights“, fd 38 537) nun nach Hongkong, ins räumliche wie emotionale Zentrum seines Filmemachens, zurückgekehrt ist. Nach „Ashes of Time“ (fd 39 479) hat Wong einen zweiten Martial Arts-Film gedreht, wenn es sich bei „The Grandmaster“ denn um einen solchen handelt. Denn so wie Wong in „Days of Being Wild“ (fd 33 153) oder „Fallen Angels“ (fd 32 321) das Gangster- bzw. Auftragskillermotiv für seine Zwecke umdeutete, transzendiert er auch hier nahezu alle Genreregeln zugunsten eines Autorenfilms in seiner eigenen, unverwechselbaren Handschrift. Der Handlungsfaden folgt den zentralen Phasen des Lebens einer historischen Person: Yip Man (1893-1972), einem der berühmtesten Kampfkunstmeister des modernen China. Yip Man, der unter anderem Bruce Lee unterrichtete, war schon zu Lebzeiten eine Legende. In den letzten Jahren wurde er auch einer breiten Öffentlichkeit durch Spielfilme wie „Ip Man“ (2008), „Ip Man 2“ (2010) oder „Ip Man Zero“ (2010) bekannt. Oberflächlich betrachtet, handelt es sich bei „The Grandmaster“ um eine Art Autobiografie, in der Yip Man aus dem Off zum Publikum spricht. Der Film setzt Mitte der 1930er-Jahre ein. Bis dahin hat der aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Protagonist mit Frau und Kindern im südostchinesischen Foshan vom Vermögen der Eltern gelebt. In anschaulichen Weise schildert Wong die damalige Kampfkunstszene mit ihrer Nähe zur Unterwelt, der Rivalität regionaler Schulen und den Treffen in Edelbordellen, die sowohl Ort sinnlicher Freuden wie erbitterter Rededuelle, bisweilen aber auch eine Arena für blutige Kämpfe waren. Die so präzise wie nostalgische Rekonstruktion der klassischen Glanzzeit der Martial Arts nimmt etwa 70 Minuten ein, eine zügig erzählte Abfolge von Actionszenen, unterbrochen durch knappe One-Liner – „Kung-Fu: two words. One horizontal, one vertical“ oder „Why does a sword sit in a scabbard? Not to kill but to hide“ – und kaum längeren metaphernreichen Reflexionen, etwa zwischen zwei alten Großmeistern: „Beim Eintopf kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an: Steht er zu kurz auf dem Feuer, fehlt Geschmack, steht er zu lang, ist er verkocht.“ Die Handlung spielt im Süden: Nachdem Kung-Fu-Meister Gong Yutian aus Altergründen zurücktritt, wird ein Nachfolger gesucht, der zudem fähig ist, die beiden Fraktionen des Nordens und des Südens zu vereinen. Yip Man gewinnt, doch erwächst ihm im unterlegenen Ma San ein gefährlicher Konkurrent. Zugleich ist Yip Man der Tochter des alten Meisters, Gong Er (Zhang Ziyi), auf komplizierte Weise verbunden: Sie hat gegen Yip Man „um der Familienehre willen“ gekämpft und gewonnen. Doch dieser Kampf – einer der emotionalen Höhepunkte des Films – ist das erotisch eingefärbte Duell zwischen Gleichstarken, deren Gefühle sich in aufeinander abgestimmten und einander vorgreifenden Bewegungen ausdrücken, die mehr einem Tanz denn einem Kampf gleichen. Wenn ihre Gesichter Zentimeter voneinander entfernt wie schwerelos durch den Raum fliegen, gleicht dies optisch wie emotional einem Liebesakt. Der Aufstieg von Yip Man als Kampfkünstler korrespondiert mit dem Zusammenbruch der chinesischen Republik durch die Invasion des japanischen Kaiserreiches und der Zerstörung von Yip Mans persönlicher Welt: Seine Familie verarmt, erleidet Hunger, Vertreibung, Trennung; zwei seiner Kinder sterben. Ip Man landet schließlich einsam im Hongkonger Exil, wo er sich bis zu seinem Tod als Kampfkunstlehrer verdingt. Wongs Kar-wais Inszenierung ist generell chronologisch und linear, verknüpft aber unterschiedlichste Ebenen: Biografische Fakten, historische Ereignisse und die emotionalen Geschichten einiger zentraler Figuren. Der Film ist zugleich eine Passage durch die chinesische Geschichte von 1930 bis 1972, durch die vier Herrschaftssysteme, unter denen Yip Man lebte. Der Film spricht dabei Aspekte an, die in China politisch delikat sind, etwa den Separatismus der Bürgerkriegszeit in den 1930er-Jahren, die Kollaboration unter japanischer Besatzung. Yip Man wird dabei zum Verfechter der Einheit idealisiert. Im zweiten Teil des Films tritt die Figur der Gong Er und der Schauplatz der nördlichen Mandschurai zunehmend in den Vordergrund. Nachdem der zum Kollaborateur gewordene Ma San Schuld am Tod von Gong Ers Vaters trägt, rächt sie diesen gegen den Willen des Clans auf eigene Faust; der furiose Kampf auf einem schneebedeckten Bahnsteig neben einem abfahrenden Dampfzug ist ein zweiter Höhepunkt des Films. Die emotionale Klammer bilden eingestreute Passagen des Briefwechsels zwischen Gong Er und Yip Man – poetische Zeugnisse einer „platonisch“ sublimierten Liebe. Zhang Ziyi und Tony Leung spielen dieses Paar auf Distanz, das sich nur in wenigen Szenen persönlich begegnet, aber auch über große Entfernung miteinander verbunden bleibt, mit großer Intensität. Während es Leung mitunter an Spannung zu fehlen scheint, wird Zhang zum emotionalen Herz des Films: Unter jeder ihrer Bewegungen lodert das Gefühl. „The Grandmaster“ ist auch eine Passage durch das chinesische Kino und die Kampfkünste: Liebevoll und geduldig räumt Wong Kar-wai im ersten Drittel verschiedenen Kampfstilen prominente Auftritte ein: Ba Gua („Säbelkampf mit Hand“), Xing Yi („Faust als Speer“), Ba Ji Quan („Faust der acht Extreme“) und „64 Hände“. Womit Wong für Vielfalt plädiert. Wenn es eine moralische Lektion geben sollte, die in diesem Film entfaltet wird, dann ist es jene, dass keinen „richtigen“ Kampfstil und damit auch keinen „größten“ Großmeister gibt – tatsächlich bedeutet der chinesische Titel: „The Grandmasters“ („Die Großmeister“). Das untergründig immer präsente Zentralmotiv ist dabei die Frage der politischen wie kulturellen Einheit Chinas, dem nationalen Erbe und der chinesischen Identität in der Diaspora - für Wong Kar-wai, der in Hongkong als Kind Shanghaier Einwanderer aufwuchs, ist dies seit je ein wichtiges Sujet. Zur Heimatlosigkeit kommen andere Motive: Die Unwiederbringlichkeit von Erinnerungen, und das mögliche, aber ungelebte Leben, die nur imaginäre Liebe. An einer zentralen Stelle gegen Ende, beim letzten Treffen zwischen Ip Man und Gong Er, setzt Wong hierfür ein so eindeutiges, wie subtiles Zeichen: Im Off ist "Deborah's Theme" zu hören, das Musikstück, das Ennio Morricone für Sergio Leones "Once Upon a Time in America" (1984) komponierte - eine emotionale Anrufung, in der sich Melancholie mit Nostalgie vermischt; ein Augenblick filmischer Intensität, in dem sich der Zuschauer an Ereignisse erinnert, die er nicht erlebt hat, Menschen liebt, die allein im Kino existieren - eine ureigene Erfahrung großer Filmkunst. Wong verzichtet diesmal auf sein Markenzeichen: narrative Ellipsen. Es gibt nur zwei – sehr zwingend eingesetzte - Rückblicke, darunter einen wunderbaren, atmosphärisch aus dem Film herausgelösten, knapp fünfminütigen Clip, in dem sich Gong Er an ihre Jugend und die Beziehung zu ihrem Vater erinnert. Nach der dichten ersten Hälfte wirkt der zweite Teil loser und assoziativer; in seiner melancholischen Grundstimmung erinnert er stärker an frühere Filme von Wong Kar-wai, an „In the Mood for Love“ (fd 34 577) und „2046“ (fd 36 855), ohne allerdings deren emotionale Kraft zu erreichen. Manches wirkt hier zu hastig, sogar unausgereift. Wongs Angewohnheit, komplette Erzählstränge und Hauptfiguren in der Schnittphase aus seinen Filmen zu tilgen – berühmteste „Opfer“ waren Tony Leung in „Days of Being Wild“ (fd 33 153) sowie Maggie Cheung und Carina Lau in „2046“; diesmal fiel Chang Chen der Schere zum Opfer: von seiner Figur Yi Xian Tian bleiben nur drei, vier formidable Szenen, sein Liebesverhältnis mit Gong Er wird nur noch fragmentarisch angedeutet. Gut möglich, dass derartige Auslassungen durch einen „Director’s Cut“ korrigiert werden – trotz aller Dementis hält sich hartnäckig das Gerücht eines Vier-Stunden-Schnitts, und alle Erfahrung mit Wongs bisherigem Werk deutet darauf hin, dass dies auch zutrifft; gut möglich, das das ursprüngliche Werk zugunsten internationaler Verkäuflichkeit „vereinfacht“ und „verständlicher gemacht“ wurde; die Fassung, die jetzt ins Kino kommt, ist bereits um 12 Minuten kürzer als die chinesische Premierenversion und unterscheidet sich überdies in 15 weiteren Minuten. Nicht wirklich befriedigen kann auch die deutsche Sprachfassung, weil sie die Differenz zwischen den beiden chinesischen Sprachen Kantonesisch und Mandarin völlig tilgt. Wegen dieser Änderungen der Tonart, und Wongs Verzicht auf konventionelles „Auserzählen“ aller Figuren macht sich der Regisseur angreifbar. Es ergeht ihm ähnlich wie Terrence Malick, dem ebenso vorgeworfen wird, über seiner Obsession fürs Visuelle, für Gesichter und Objekte, Fokus und Kohärenz aus dem Auge zu verlieren. Doch das Ergebnis bleibt allen Einwänden zum Trotz so originell wie meisterlich. „The Grandmaster“ ist ein starker Film, für das Martial-Arts-Genre unkonventionell und neues Terrain erobernd. Schon mit seinem Start in China wurde Wongs zehnter Film zudem bereits jetzt zu seinem größten kommerziellen Erfolg. Wong und dem französischen Kameramann Philippe Le Sourd gelingen großartige Momente, eine Choreographie der Objekte, die auch in den Kampfszenen durch ihren Wechseln aus Tempo und Zeitlupe überzeugt, die in ihrer generellen Ausrichtung an modernen Klassikern wie Edward Yang und Hou Hsiao-hsien orientiert ist. Der glänzende Stil Wong Kar-wais ist nie Selbstzweck; dafür ist Form bei Wong immer der Inhalt, der Stil die Botschaft: Wenn Wong sich der Mittel der Beschleunigung oder Verlangsamung bedient, oder den Zeitverlauf ganz anhält, wenn er bestimmte Momente des Geschehens herausgreift und überhöht, dann erweist er sich als romantischer Filmemacher par excellence, dem es um Anmut und Grazie, um das Herstellen ekstatischer Momente zu tun ist, um Kunst als Evidenz im Augenblick. Kein Filmemacher der Gegenwart kann dies so gut wie er.
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