The Loneliest Planet

Drama | USA/Deutschland 2011 | 113 Minuten

Regie: Julia Loktev

Ein junges Paar tourt mit dem Rucksack durch Georgien und heuert einen einheimischen Führer für eine Wanderung im Kaukasus an. Unterwegs gerät es in eine gefährliche Situation, was seine Beziehung nachhaltig erschüttert. Minimalistisch inszeniertes Liebesdrama, in dem die Harmonie der Liebenden von Anfang an durch leise inszenatorische Irritationen in Frage gestellt wird. Die Anwesenheit des Führers führt zu einer spannungsreichen Dreieckskonstellation. Die Geschichte einer Fremdheitserfahrung inmitten einer karg-schönen Landschaft mündet in eine Reflexion über die Verunsicherung der Geschlechter. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE LONELIEST PLANET
Produktionsland
USA/Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Parts and Labor/Flying Moon Filmprod.
Regie
Julia Loktev
Buch
Julia Loktev
Kamera
Inti Briones
Musik
Richard Skelton
Schnitt
Michael Taylor · Julia Loktev
Darsteller
Gael García Bernal (Alex) · Hani Furstenberg (Nica) · Bidzina Gujabdize (Dato)
Länge
113 Minuten
Kinostart
03.01.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Ein blasses, rothaariges Mädchen springt vor einer rohen Steinwand im Inneren eines Hauses auf und ab. Es ist nackt und klatschnass, die Arme hat es fröstelnd an den Körper gepresst; offensichtlich versucht es, sich mit der Bewegung warm zu halten. Das Bild, mit dem Julia Loktev ihren Film eröffnet, weckt gemischte Gefühle: Ist die Situation des frierenden Mädchens komisch oder unangenehm? Die Unsicherheit löst sich erst, als ein junger Mann im Bild auftaucht. Er bringt warmes Wasser und hilft dem Mädchen, seine Katzenwäsche zu beenden. Irritationen und Ambivalenzen finden sich häufig in „The Loneliest Planet“. Das fängt bei der imposanten Kaukasus-Landschaft an, in der der Film spielt: Die Figuren bewegen sich durch grüne Berge und steinige Ebenen wie durch ein endloses Meer, doch will sich der Eindruck von Weite nicht so recht einstellen, weil der Bildausschnitt meist so tief gewählt ist, dass man kaum den Himmel sehen kann; die Bergflanken ragen im Hintergrund wie Mauern auf. Und es hört nicht auf bei einem harten Schnitt, der einen immer wieder abrupt von einem Bild ins nächste wirft und damit die meditative Wirkung konterkariert, die die langen, ruhigen Einstellungen haben. „The Loneliest Planet“ ist vor allem eine Geschichte der Verunsicherungen. Der Filmtitel spielt auf die „Lonely Planet“-Reiseführer an: Bücher für „Individualreisende“, die sich jenseits der ausgetretenen Pfade des Massentourismus bewegen. Leute wie Nica und Alex, ein junges Paar auf Reisen. Hotels mit komfortablen Badezimmern sind nicht ihre Sache; als Rucksacktouristen suchen sie den unmittelbaren Kontakt zur Natur und zu Einheimischen. Doch warum bemüht der Filmtitel den Superlativ „Loneliest Planet“? Die ersten Sequenzen erzählen eigentlich vom Gegenstück der Einsamkeit, nämlich von einer Zweisamkeit der Liebenden, wie sie zärtlicher kaum sein könnte: Nica und Alex erkunden gut gelaunt und spielerisch den georgischen Ort, in den es sie verschlagen hat, flirten, haben Sex miteinander, lachen viel. Dann engagieren sie einen einheimischen Führer, Dato, der sie bei einer Wanderung im Kaukasus begleiten soll. Die drei brechen auf: laufen, rasten, reden, schauen sich die imposante Natur an. Plötzlich passiert etwas, was den beiden jungen Leuten nicht nur den Spaß an ihrer Reise vergällt, sondern auch ihre Beziehung erschüttert. Wie in ihrem Porträt einer Selbstmordattentäterin „Day Night Day Night“ (fd 38 909) erzählt Julia Loktev auch hier nicht von großen, dramatischen Ereignissen, sondern ganz minimalistisch über kleine Gesten, Blicke, Gesichtsausdrücke und filmsprachliche Zeichen. Es passiert eigentlich so gut wie nichts: Nica, Alex und ihr Führer Dato wandern durch die Gebirgslandschaft, geraten in eine gefährliche Situation, laufen weiter und schlagen irgendwann ihr Zelt zum Nachtlager auf. Gleichzeitig passiert sehr viel zwischen den von hervorragenden Darstellern verkörperten Personen unterschiedlicher kultureller Prägung, zwischen den zwei Männern und der Frau. Die Anwesenheit Datos verändert die Chemie zwischen Alex und Nica. Das Paar konzentriert sich nicht mehr nur auf sich, sondern bemüht sich, einen freundschaftlichen Kontakt zu dem nur gebrochen Englisch sprechenden Georgier herzustellen. Dieser Versuch eines interkulturellen Austauschs etabliert eine Dreieckskonstellation, die vor allem angesichts der Gefahr zur Herausforderung für Alex’ Männlichkeit wird. Der taktile und über Blicke hergestellte Kontakt der Liebenden kühlt ab; dafür breitet sich ein ratloses Schweigen voller unausgesprochener Vorwürfe und Bedürfnisse aus. Ähnlich wie „Day Night Day Night“ verweigert sich auch „The Loneliest Planet“ jeder Erklärung oder psychologischen Durchdringung – der Film funktioniert wie ein fragmentarischer Text, der einen kleinen Ausschnitt mit akribischer Genauigkeit schildert, an den Rändern aber viele Fragen offen lässt – und gerade deswegen nachhaltig beschäftigt. Die geschilderte Fremdheitserfahrung, sich in einem unbekannten Natur-, Kultur- und Sprachraum zu bewegen, blendet immer mehr in eine Reflexion über die Fremdheit und die Unsicherheit zwischen den Geschlechtern über. Loktev traut es der Liebe offensichtlich nicht zu, diese Fremdheit zu überbrücken – es ist tatsächlich ein sehr einsamer Planet, an dessen rauer Oberfläche ihre Figuren sich bewegen.
Kommentar verfassen

Kommentieren