Das Frösteln kriecht einem in Stefan Ruzowitzkys melancholischem Thriller den Rücken hinauf. Ähnlich wie „Fargo“
(fd 32 223) der Coen-Brüder oder „Essential Killing“
(fd 40 509) von Jerzy Skolimowski ist „Cold Blood“ ein Winterfilm, der allem Schnee-Weiß zum Trotz rabenschwarz ist und die Lebensfeindlichkeit der verschneiten Landschaft zur Bühne für einen gnadenlosen Überlebenskampf macht. Mit der im Titel angedeuteten Kaltblütigkeit der Protagonisten ist es so eine Sache: Addison, der männliche Teil des Geschwisterpaars, um das es geht, erscheint zunächst als eiskalter Killer, wenn er einen Polizisten erschießt, der bei dem verunglückten Fahrzeug der Geschwister anhält und helfen will; im Lauf des Films zeigt er allerdings Facetten, die diesem ersten Eindruck zuwider laufen. Kalt bis ins Mark sind weniger die Menschen als vielmehr die schicksalhaften Umstände, in die sie, wie in einer klassischen Tragödie, verstrickt sind.
Addison und seine Schwester Liza sind mit der Beute aus einem Casino-Überfall auf der Flucht, als sie durch den Unfall auf einer vereisten Landstraße in Michigan ihr Auto verlieren. Nach dem Mord an dem Gesetzeshüter trennen sie sich, um ihre Chancen aufs Entkommen zu verbessern; später wollen sie sich wieder treffen. Addison gerät in den verschneiten Wäldern in eine Reihe blutiger Konfrontationen. Allerdings zeigt sich auch, dass er durchaus noch zu Empathie fähig ist. Als er mitten im Wald auf eine Einsiedler-Familie in einer ärmlichen Kate trifft, tötet er den saufenden, prügelnden Vater, lässt die Frau und ihre kleine Tochter aber am Leben: Für die beiden ist er kein furchterregender Eindringling, sondern ein wortkarger Beschützer. Allerdings ist ihm bereits die örtliche Polizei auf den Fersen, so auch eine junge Beamtin, die sich gegen die Macho-Gesinnung ihrer Kollegen, vor allem ihres Vaters, des Sheriffs, zu behaupten versucht. Liza findet unterdessen Anschluss an einen jungen Mann namens Jay. Dieser ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, hat bereits einen neuen, im Affekt begangenen Totschlag auf dem Konto und ist nun auf dem Weg zu seinen Eltern. Davon erzählt er Liza aber ebenso wenig wie sie ihm von ihrer eigenen kriminellen Vergangenheit. Von Lizas Seite aus zunächst aus rein pragmatischem Kalkül lanciert, wächst aus der Begegnung bald eine gegenseitige Zuneigung, die Lizas Plan, sich wieder Addison anzuschließen, in Frage stellt.
Stefan Rutzowitzky („Die Fälscher“, fd 38 071) gibt mit seinem US-Debüt eine überzeugende Genrekino-Visitenkarte ab. „Cold Blood“ erfindet den Thriller zwar nicht neu; unerwartete Plotwendungen und Brüche sind es nicht, die für die Spannung sorgen, dafür aber glaubwürdig gezeichnete und von einem exzellenten Ensemble verkörperte Figuren. Dazu kommt eine Inszenierung, die nicht forciert auf Action setzt, sondern sich Zeit nimmt, die Winterlandschaft atmosphärisch in Szene zu setzen und die Charaktere sich entfalten zu lassen und ihre Beziehungen auszuloten. Die Liebe wird mit Bitterkeiten und Enttäuschungen versetzt – sei es die zwischen Bruder und Schwester, die in eine traumatische Kindheit zurück reicht, diejenige zwischen dem bärbeißigen Sheriff und seiner mutigen Tochter oder die zwischen Jay und seinen Eltern. Vor dem Hintergrund der unaufgeregt entwickelten Erzählstränge um die einzelnen Figuren, die in einem kammerspielartigen Showdown enggeführt werden, wirken die Gewaltspitzen umso schmerzhafter, in die die Handlung immer wieder unvermittelt mündet – nicht als goutierbares Spektakel, sondern als sinnlos-grausame Dramen. Wenn alle Figuren im Haus von Jays Eltern, der einzigen Wärmezone in der winterlichen Ödnis, am Thanksgiving Abend zusammen kommen, blitzt die Hoffnung auf, dass der zwischenmenschliche Frost angesichts der Sehnsucht nach Nähe, nach einem Neuanfang, die alle Figuren auf die ein oder andere Weise in sich tragen, zum Schmelzen gebracht werden könnte. Aber auch das geht letztlich nur mit warmem Blut, das auf dem Schnee vergossen wird.