Die Wahrheit über Männer

- | Dänemark 2010 | 95 (24 B./sec.)/92 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Nikolaj Arcel

Ein Drehbuchautor droht, angesichts der Routine seines Privat- und Berufslebens in Lethargie zu verfallen, und geht deshalb unkalkulierbare emotionale Risiken ein. Vorzüglich gespielte "unromantische Komödie", die verschiedene Realitätsebenen mischt; der Film bricht zwar nicht mit den klassischen Erzählmustern, bürstet sie aber erfrischend gegen den Strich und betreibt eine selbstironische Auseinandersetzung mit filmischem Geschichtenerzählen. Eine reizvolle Variation des klassischen Entwicklungsroman-Themas der Selbstfindung des Protagonisten. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SANDHEDEN OM MÆND
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Zentropa Ent./Film i Väst
Regie
Nikolaj Arcel
Buch
Nikolaj Arcel · Rasmus Heisterberg
Kamera
Rasmus Videbæk
Musik
Asger Baden · Steen Holbek
Schnitt
Mikkel E.G. Nielsen
Darsteller
Thure Lindhardt (Mads) · Tuva Novotny (Marie) · Rosalinde Mynster (Julie) · Signe Egholm Olsen (Louise) · Henning Valin (Peter)
Länge
95 (24 B.
sec.)
92 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
18.10.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Schon im Filmtitel steckt viel Ironie: „Die Wahrheit über Männer“ erzählen zu können, wäre verstiegen, und ebenso wenig wird dem Zuschauer eine fix und fertige Wahrheit über das Leben schlechthin serviert. Was sollte das auch sein? Falls ein lenkender Gott existiert, wird er die Menschen kaum in seine Karten schauen lassen. Falls nicht, findet „Schicksal“ nur im Laptop von Schriftstellern statt – oder in Besprechungsräumen von Drehbuch-Kollektiven. Womit wir bei einem der Schauplätze von Nikolaj Arcels Film sind: Mads, Anfang 30, ist Drehbuchautor für Kino und Fernsehen. „Unser Storyschleifer“, loben seine Kollegen. Mit dem Masterplan für mittelmäßige Fernsehfolgen kennt er sich aus: Startpunkt, Wendepunkt I, Wendepunkt II, Krise, Auflösung. Ungefähr das, ergänzt mit einigen Figurennamen und Stichworten wie „Unfall“, „Schwangerschaft“ oder „unverhoffte Rückkehr“, steht täglich auf der Tafel im Konferenzzimmer des Fernsehsenders. Stimmt das Gerüst, kann kaum etwas passieren. Aber genau das ist Mads’ Problem: Nichts passiert – in seinem Leben. Zehn Jahre ist Mads mit Marie zusammen. Die Einweihungsparty ihrer neuen gemeinsamen Wohnung erlebt er wie unter einer Glasglocke. Als Marie den Anwesenden verkündet, dass sie und Mads eine Familie gründen wollen, dämmert dem Ehemann in spe, dass Kind und Kegel kaum das sind, was ihn aus der totalen Lethargie reißen kann. Der Herzinfarkt seines bald im Koma dämmernden besten Freundes ist nur noch Auslöser eines selbst herbeigeführten Wendepunkts: Mads sagt Marie und den Schreibstubenkollegen adé, zieht in eine heruntergekommene Wohnung und beginnt ein freies Drehbuchprojekt. Außerdem macht er sich auf die Suche nach seiner ersten Liebe, Laerke aus der Parallelklasse, die er nicht haben konnte, die aber umso begehrenswerter als Lederjacke tragende Jugendliche vor seinem inneren Auge erscheint. Solche Wunsch-, aber auch die Angstvorstellungen des Protagonisten verwebt Arcel pointiert mit der Realitätsebene des Films, hinzu kommen Ausschnitte aus Filmen, die es nicht gibt, inklusive eines von Mads einst verfassten computeranimierten Abenteuercomics, den ganz Dänemark kennt und auf den anspielend sein Autor sicher bei Frauen landen kann: „Das Drehbuch hast Du geschrieben? Mein Lieblingsfilm! Wow!“ So dreht sich das Affären-Karussel, denn aus der coolen Laerke ist eine von Depressionen geplagte Mutter geworden. Mads hat Glück, als er die zehn Jahre jüngere, bezaubernde Julie kennen lernt, und Pech, als Julie nach kurzer Beziehung Schluss macht und zum Kunststudium nach Berlin entschwindet. Es ist kalt in Kopenhagen. Kameramann Rasmus Videbaek unterstreicht die Einsamkeit des Protagonisten mit kühler Farbgebung und ungeschönten Nahaufnahmen. Dazu passt das zurückhaltende Spiel des hier blasshäutigen und sich seiner Augenringe nicht schämenden Hauptdarstellers Thure Linhardt, der nach internationalen Produktionen wie „Into the Wild“ (fd 38 560) oder „Far From China“ inzwischen zu den wichtigsten Schauspielern Skandinaviens zählt. Angesichts der ohnehin guten Akteure und der avancierten Filmsprache erstaunt es, dass „Die Wahrheit über Männer“ so spät in die deutschen Kinos kommt. Arcels dritter Spielfilm wurde nämlich noch vor dem von ihm inszenierten, mit zwei „Silbernen Bären“ ausgezeichneten Kostümfilm „Die Königin und der Leibarzt“ (fd 41 021) gedreht, und dieser „Berlinale“-Erfolg (ein „Bär“ ging an das Autoren-Duo) dürfte den Verleih überzeugt haben. Tatsächlich konnte Arcel mit den Irrungen und Wirrungen eines etwa gleichaltrigen Zeitgenossen offensichtlich weit mehr anfangen als mit dem historischen Stoff um den Aufklärer Johann Friedrich Struensee und sein Verhältnis zum dänischen König Christian VII: In Mads Charakter ist nach eigener Aussage viel von Arcel selbst eingeflossen. Besonders interessant an der „anti-romantischen Komödie“ (Untertitel) ist der selbstironische Umgang mit dem eigenen Metier: Arcel versucht gar nicht erst, tradierte Strukturen der Filmerzählung pseudoavantgardistisch auszuhebeln. Natürlich ist der Leidensweg des Helden mit Plotpoints gepflastert, natürlich lässt sich die klassische Fünf-Akt-Einteilung des Dramas auch hier nachweisen; raffiniert ist jedoch die Art und Weise, wie der Film die von Drehbuch-Routinier Mads als konventionell verhassten Muster variiert oder in ihr Gegenteil verkehrt. So besiegelt das „Ich bin schwanger“-Bekenntnis der Heroine, das im Standardfilm eine Paarbeziehung wiederherstellt oder festigt, bei Arcel endgültig die Trennung zwischen Mads und Marie, denn die erwartet ein Kind von ihrem neuen Partner. „Die Wahrheit über Männer“ ist das filmische Pendant zur literarischen Gattung des Entwicklungsromans, allerdings: Wolfram von Eschenbachs Parzival, Goethes Wilhelm Meister und Max Frischs Homo Faber kommen am Ende irgendwo an – Mads bleibt dieses friedliche Ende verwehrt.
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