Es bedurfte einer neuen Volkszählung, um die Filmproduzenten Hollywoods auf einen Markt jenseits der Teenager-Generation aufmerksam zu machen: 75 Mio. US-amerikanische Babyboomer erreichen in den nächsten Jahren die Pensionsgrenze und verfügen damit über viel zusätzliche Freizeit. Filme wie „Best Exotic Marigold Hotel“
(fd 40 948), „Robot & Frank“ und „Wie beim ersten Mal“ sind Beispiele dafür, dass sich die Filmindustrie den Wünschen des zahlenmäßig wachsenden älteren Publikums nicht länger verschließt. Die Versuche sind tastend und unausgereift, als habe man alles verlernt, was frühere Generationen von Filmemachern perfekt beherrschten.
„Wie beim ersten Mal“ fühlt sich überdies auch noch unwohl bei seinem Thema, der Exploration intimer Verhaltensweisen eines Ehepaars über 50. Wer angesichts der zahllosen Sex-Komödien, die Hollywood im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat, daran glaubt, die US-Amerikaner hätten ihren angeborenen Puritanismus zumindest in der Dunkelheit des Kinos überwunden, der sieht sich im Irrtum, sobald es um anderes als Kneipenwitze und Pubertäts-Sex geht. Vor allem die Intimsphäre älterer Menschen gilt in Hollywood auch heute noch als tabu. Das merkt man einem Film wie „Wie beim ersten Mal“, dessen Thema die erkaltete Ehe eines Paars mit zwei erwachsenen Kindern ist, auf Schritt und Tritt an. Auf der einen Seite will man es nicht bei den üblichen verschwommenen Andeutungen eines nicht mehr vorhandenen Intimlebens belassen (und klopft sich dafür beständig selbst auf die Schulter), auf der anderen Seite weicht man jedes Mal rasch ins Komische aus, sobald eine der scheinbaren Unaussprechlichkeiten thematisiert wird. Michael Hanekes Film „Liebe“
(fd 41 266) über die letzten Jahre eines 80-jährigen Paars ist dem amerikanischen Publikum vorerst noch unbekannt: Er spielt in einer anderen Welt. Stattdessen muss man sich mit den stolpernden Gehversuchen von David Frankel begnügen und statt mit Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva mit dem Paar Meryl Streep und Tommy Lee Jones, die sich nach Kräften bemühen, die Klischees von „Mamma Mia!“
(fd 38 809) und „Men in Black“
(fd 32 733) hinter sich zu lassen.
Das Ehepaar, um das es der kaum halb so alten Autorin Vanessa Taylor hier geht, sind ein Steuerberater und dessen vorwiegend bei Hausfrauenpflichten gezeigte Frau, die zu Beginn des Films ihren 31. Hochzeitstag feiern: US-amerikanischer Mittelstand mit eigenem Häuschen und Aussicht auf baldige Altersrente. Kay und Arnold scheinen sich im eintönigen Ablauf ihres Alltags eingerichtet zu haben. Schritt für Schritt haben sie sich in ihrer Ehe voneinander entfernt. Der Film erzählt nicht die Entwicklung dahin, sondern das Ergebnis und verweigert dem Zuschauer so ein differenzierteres Bild der Figuren. Arnold schläft regelmäßig vor dem Fernseher bei Golf-Übertragungen ein; Kay serviert ihm jeden Morgen das gleiche Frühstück. Bei Hitchcock wären die ewigen Spiegeleier ein Symbol, hier sind sie eher ein bloßer Gag. Kays Lächeln wird längst nicht mehr erwidert. Sie schlafen in separaten Zimmern; Gespräche finden so gut wie nicht statt, geschweige denn Augenblicke oder Gesten der Zärtlichkeit. Es ist Kay, die es eines Tages nicht mehr aushält. Statt in den bequemen Ausweg einer Scheidung zu flüchten, drängt sie auf Eheberatung, liebt sie doch ihren Mann nach wie vor. Arnold auf die Couch eines populären Therapeuten zu bringen, schafft sie nur mit leichter Erpressung. Von da an hakt der Film alle Stationen einer Ehe- und Sex-Therapie à la Dr. Phil und Oprah Winfrey ab, für leicht zu schockierende Senioren auf unmissverständliche, aber nur ja nicht allzu deutliche Art als heitere Unterhaltung getarnt. Wie auf so vielen Gebieten hinkt der Film auch auf diesem Terrain dem US-Kabelfernsehen hinterher, das mit der HBO-Serie „In Treatment“ vorgemacht hat, wie man aus Therapie-Sitzungen filmisches Kapital schlagen kann. Immer wenn es Augenblicke gibt, in denen die von Alltäglichkeit, Gleichgültigkeit und emotionaler Distanz ins Aus getriebene Ehe an einer Wendemarke anzukommen scheint, an der zur Routine gewordene Enttäuschung und aufkeimende neue Hoffnung sich treffen, lässt Frankel die Szene in billiger Komik versanden oder deckt sie mit einer aufdringlichen Song-Kulisse zu. Es bleibt den beiden Hauptdarstellern überlassen, zu retten, was zu retten ist. Dabei schneidet die in solchen Rollen inzwischen kaum zu übertreffende Meryl Streep deutlich besser ab als der die Grantigkeit und Griesgrämigkeit zu dick auftragende Tommy Lee Jones.