Un amour de jeunesse

- | Frankreich/Deutschland 2011 | 110 (24 B./sec.)/106 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Mia Hansen-Løve

Über einen Zeitraum von acht Jahren verfolgt der Film die Liebesbeziehung einer jungen Frau zu einem kaum älteren Mann. Selbst als sie mit einem Architekturlehrer zusammenlebt, kann sie nicht von der brüchigen, unbeständigen Liaison lassen. In ihrem dritten Spielfilm verarbeitet die Regisseurin Mia Hansen-Løve eigene Erfahrungen. Ein konzentriert inszeniertes Liebesdrama, das zwischen Hommage an die Jugendliebe und einer Geschichte des Erwachsenwerdens changiert, dabei allerdings an etwas zu viel Pathos, Bemühtheit sowie den wenig temperamentvollen Darstellern leidet. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
UN AMOUR DE JEUNESSE
Produktionsland
Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Les Films Pelléas/Razor Film/arte France Cinéma/Rhône-Alpes Cinéma/Jouror Prod.
Regie
Mia Hansen-Løve
Buch
Mia Hansen-Løve
Kamera
Stéphane Fontaine
Schnitt
Marion Monnier
Darsteller
Lola Créton (Camille) · Sebastian Urzendowsky (Sullivan) · Magne Håvard Brekke (Lorenz) · Valérie Bonneton (Camilles Mutter) · Serge Renko (Camilles Vater)
Länge
110 (24 B.
sec.)
106 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
27.09.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Camille und ihr Freund Sullivan kommen aus einem Kino. Während er den Film, den beiden gerade gesehen haben, als öde und langweilig, als eben typisch „französisch“ charakterisiert, verteidigt Camille ihn als sensibel und tiefgründig. Es gehört einiges an Selbstbewusstsein, ja sogar eine Portion Unerschrockenheit dazu, eine solche Szene in einem Film zu platzieren, der selbst gar nicht „französischer“ sein könnte. Als Zuschauer ist man herausgefordert, sich auf eine der beiden Seite zu schlagen: Folgt man eher der Hauptfigur, einer hingebungsvoll, schmerzlich Liebenden gegen alle Vernunft, und findet den Film auf zeitlose Weise romantisch und ehrlich? Oder doch lieber dem vagabundierenden, quecksilbrigen Sullivan, dem Freiheit über alles geht und der sich auch durch Liebe nicht binden lässt? Kann das bei ihm überhaupt „wahre“ Liebe sein? Solche Fragen reichen direkt ins Zentrum von „Un amour de jeunesse“ hinein: Welche Vorstellungen hat man von einer Liebesbeziehung? Und was passiert, wenn unterschiedliche Vorstellungen in Beziehungen diametral aufeinander stoßen? Unwillkürlich denkt man man beim Namen Camille an eine andere verschmähte Liebende des französischen Kinos: an die von Brigitte Bardot verkörperte Frau eines Drehbuchautors in Godards „Die Verachtung“ (fd 13 279). Auch in „Un amour jeunesse“ sieht sich die 15-Jährige einem (allerdings erst 19-jährigen) Geliebten gegenüber, der sich nicht für sie entscheiden kann. Ihn zieht es bei aller körperlichen Hingabe egoistisch ins ferne Südamerika. Altklug, verspielt melodramatisch-pathetisch und irgendwie gestelzt wirken die Dialoge der Selbstvergewisserung zwischen Camille und Sullivan angesichts des nahenden Abschieds. Ob das genau kalkuliert der Figurenzeichnung geschuldet ist oder doch eher das persönliche Naturell der Regisseurin spiegelt, ist schwer zu entscheiden. Mia Hansen-Løve ist nur einige Jahre älter als ihr kanadischer Regie-Kollege Xavier Dolan, der ebenfalls die Lebens- und Liebesumstände junger Menschen beschreibt; und doch könnte der Blick auf diese Geschichten kaum unterschiedlicher sein. Der größte Unterschied ist die Abwesenheit jedweden Humors und distanzierender Ironie bei Hansen-Løve. Natürlich ist das per se kein Kriterium, jeder Filmemacher, jede Filmemacherin hat das Recht auf die eigene Perspektive. Doch im Fall von „Un amour de jeunesse“ produziert diese Ernsthaftigkeit des Blicks auf ihrerseits schon hochgradig stilisierte Figuren eine Bedeutungsschwere, die eine an sich leichte, von Emotionen und tastenden Versuchen handelnde Geschichte immer wieder zu erdrücken droht. Jede Figur scheint ihre Überzeugungen wie in einem Bauchladen vor sich auszubreiten, in den unterschiedlichsten Situationen. Eine gewisse Luftigkeit, ja Leichtigkeit kommt trotzdem dadurch in den Film, dass Hansen-Løve sehr elliptisch unter Aussparung vieler Jahre erzählt. Vom Februar 1999 und der Abreise Sullivans nach Südamerika im September desselben Jahres springt er ein Jahr weiter. Camille hat von Sullivan einen ehrlichen, aber verletzenden Brief erhalten. Beiläufig erfährt man, dass sie einen Selbstmordversuch unternimmt. Im Jahr 2003 trägt Camille dann ostentativ kurze Haare. Sie arbeitet als Hostess, ihr Gang wirkt betont selbstbewusst, aber auch so, als hätte die Regie der Schauspielerin Lola Créton genau diesen Gang abverlangt – und keinen anderen. Camille beginnt ein Architekturstudium und lernt den norwegischen Architekten und Dozenten Lorenz kennen, der bald von ihrer „Reife“ angetan ist. Die Haare werden wieder lang. Lorenz wird ihr Mentor – und später ihr Liebhaber und Vater eines Kindes, das sie aber während der Schwangerschaft verliert. 2007 begegnet ihr plötzlich Sullivan auf dem Fahrrad. Es ist, als sei nie etwas zwischen ihnen gewesen. Die acht Jahre seit Beginn der Filmhandlung sieht man den Figuren und ihrem Verhalten nicht an. Obwohl Sullivan so unstet wie einst ist und meist wie zufällig in die Handlung hinein schneit, landen beide im Bett. Er: „Wie konnten wir nur so lange getrennt sein?“. Sie: „Du hattest mich verlassen.“ Camille muss eine Wahl treffen und eine Grenze zwischen Jugend und Erwachsensein ziehen. Dass sie dazu in der Lage ist, deutet der Film an, wenn er sie auf einer Baustelle als zupackende, energische Architektin vorstellt. Doch wirkt dies ebenso bemüht wie ausgestellt. „Un amour de jeunesse“ atmet den romantischen Geist, dem man vieles verzeiht, der zu Unbedingtheit und Eigensinnigkeit drängt. Doch es hätte dem Film geholfen, wenn Mia Hansen-Løve etwas weniger Wert auf die Anmutung von „Wahrhaftigkeit“ gelegt und dafür etwas mehr Distanz zwischen sich und die Filmgeschichte gebracht hätte. Schließlich hat sie selbst betont, dass viele persönliche Erfahrungen in dem Film stecken, nur dass in ihrer eigenen Geschichte Olivier Assayas die Rolle des erfahrenen Lehrmeisters übernahm. Wie man eine solche Distanz unter Schmerzen und Lachen gewinnt, könnte ihr bestimmt Xavier Dolan erzählen.
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