Die Regisseurin porträtiert ihre Großmutter sowie deren beste Freundin. Die Jüdinnen stammen aus Osteuropa, verloren während des Holocausts ihre Familien und bauten sich nach dem Krieg in Berlin neue Existenzen auf. Als "Homevideo" begleitet der Dokumentarfilm sie durch ihren Alltag, der nicht zuletzt der Lust am Kochen traditioneller jiddischer Gerichte gewidmet ist. Diese Küche sowie Erzählungen der Frauen holen die Vergangenheit in die Gegenwart. Ein technisch nicht perfekter, aber von starken Protagonistinnen getragener Film, der anhand des Porträts der Frauen die Dialektik von Erinnerung und Weiterleben nach der Shoah beleuchtet.
- Ab 12.
Oma & Bella
Dokumentarfilm | Deutschland/USA 2012 | 76 Minuten
Regie: Alexa Karolinski
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/USA
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Fruit Bat/Show of Force
- Regie
- Alexa Karolinski
- Buch
- Alexa Karolinski
- Kamera
- Günther Berghaus · Bella Lieberberg · Alexander Malecki · Alexa Karolinski
- Musik
- Annette Focks
- Schnitt
- Alexa Karolinski
- Länge
- 76 Minuten
- Kinostart
- 23.08.2012
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Noch bevor man etwas sieht, hört man das Klappern von Besteck und Geschirr: Das Kochen und Essen spielt eine zentrale Rolle in diesem sehr persönlichen Dokumentarfilm über zwei betagte Jüdinnen, die in Berlin leben. Oma – das ist Regina Karolinski, die Großmutter der Regisseurin Alexa Karolinski, eine stattliche alte Dame; Bella ist ihre beste Freundin. Beide Frauen sind verwitwet; seit Oma eine Hüft-OP hatte, wohnt Bella bei ihr, um ihr zu helfen. Nur einmal pro Woche kehrt sie in ihre eigene Wohnung zurück, um nach dem Rechten zu sehen und die Post durchzugehen. Ansonsten ist sie mit Oma zusammen: beim Fernsehen auf dem heimischen Sofa, beim Einkaufen auf dem Markt, bei Ausflügen in und um Berlin, beim Friseur. Und, immer wieder, beim Kochen, denn das ist die große Passion der beiden Frauen. Da wird mit Hingabe Fleisch weichgeklopft und Teig geknetet, da werden Kalbsfüße rasiert, Kekse in Hagelzucker gewendet und Obst klein geschnitten, Zwiebeln gedünstet und Teigtaschen gefüllt. Dass es dabei um mehr geht als nur ums Kulinarische, machen die Erläuterungen der Frauen klar, die der Enkelin von der Herkunft der Speisen erzählen: Hier wird ein Stück jiddischer Tradition gelebt. Ihre Kindheit haben Regina und Bella in Osteuropa, in Katowice und Vilnius, verbracht; die Rezepte, die sie nun so hingebungsvoll pflegen, lassen die Küchen ihrer Kindheit wieder auferstehen. Und damit eine Lebenswelt, die ihnen durch den Holocaust genommen wurde. Beide Frauen verloren durch die Shoah geliebte Familienmitglieder; Regina war von 1942 bis zur Befreiung durch die Rote Armee in einem Arbeitslager im Sudetenland interniert; Bella konnte vor der Deportation ins KZ aus dem Ghetto in Vilnius fliehen und schloss sich Partisanen an. Nach dem Krieg kamen beide eigentlich nur deshalb nach Berlin, um von dort aus weiter Richtung Westen zu emigrieren; aus verschiedenen Gründen hielt es sie aber an der Spree – bis ins hohe Alter.
Der Film begleitet die Protagonistinnen durch ihren Alltag und gibt ihnen Raum für Erzählungen von Vergangenem – ohne in fester chronologischer Reihenfolge ihre Lebensgeschichte aufzuarbeiten, sondern mehr assoziativ, wie die Erinnerungen eben kommen. Dabei entsteht eine Erzählstruktur, die ein Gefühl dafür vermittelt, wie präsent die Vergangenheit und vor allem die Traumata des Holocaust nach wie vor sind, allerdings ohne dass diese Erinnerungen den Frauen den Blick für die Gegenwart – ihren Alltag in Berlin, ihre Freundschaft, die Besuche von Kindern, Enkeln und Freunden – oder die Fähigkeit, diese anzunehmen und zu genießen, trüben würden. Das Kochen, in dem die Erinnerung bewahrt wird und das anderseits sinnlich-fest ins Hier und Jetzt verankert ist, in dem die Melancholie über das Verlorene genauso mitschwingt wie die Lebensfreude an der „Handarbeit“ Kochen, am Geschmack der Speisen und am gemeinsamen Tafeln mit lieben Menschen, ist dafür ein kongeniales Sujet. Dass der Film technisch alles andere als perfekt ist – vor allem die mangelnde Beleuchtung bedauert man oft, weil sie es manchmal schwer macht, die ausdrucksstarken Gesichter der beiden Frauen zu sehen, während sie am Werkeln in der Küche und am Erzählen sind – sieht man ihm angesichts des Charismas seiner Protagonistinnen nach. Der Film mag nur ein bescheidener „Familienbesuch“ sein, aber einer bei zwei Großmüttern, die nicht nur ihrer Enkelin, sondern auch den Filmzuschauern viel an Lebenserfahrung und Zeitgeschichte weiterzugeben haben.
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