Dokumentarfilm über die Jüdin Miriam Weissenstein, die Ehefrau des Fotografen Rudi Weissenstein, der 1935 nach Israel emigrierte und dort zum Dokumentaristen politischer Ereignisse wie des jüdischen Alltags avancierte. Nach seinem Tod verwaltete seine Witwe den Nachlass mit strenger Hand. Der Film gibt Einblicke in Weissensteins Schaffen und porträtiert auch die spannungsreiche Beziehung der alten Dame zu ihrem Enkel. Ein feinfühliger, auch vom Humor seiner Protagonistin lebender Film, der sehr persönliche Einblicke in eine Familienstruktur und über ein halbes Jahrhundert israelische Zeitgeschichte zusammenführt.
- Sehenswert ab 14.
Life in Stills
Dokumentarfilm | Israel/Deutschland 2011 | 58 Minuten
Regie: Tamar Tal
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Filmdaten
- Originaltitel
- HA' TZALMANIA
- Produktionsland
- Israel/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Heymann Brothers Films
- Regie
- Tamar Tal
- Buch
- Tamar Tal
- Kamera
- Daniel Kedem · Tamar Tal
- Musik
- Alberto Shwartz
- Schnitt
- Tal Shefi
- Länge
- 58 Minuten
- Kinostart
- 16.08.2012
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Ähnlich wie in „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ (fd 33 698) oder „The Cemetery Club“ (fd 38 097) lebt auch dieser großartige Dokumentarfilm von dem eigenwilligen Humor der 96-jährigen Protagonistin. Die 1980 geborene Regisseurin Tamar Tal porträtiert Miriam Weissenstein inmitten ihrer Wirkungsstätte. 1940 gründete die tschechisch-österreichische Immigrantin und ausgebildete Tänzerin gemeinsam mit ihrem Mann Rudi Weissenstein das Fotostudio „Zalmania Pri-Or“ in Tel Aviv. Rudi, ebenfalls 1935 nach Palästina eingewandert, arbeitete bereits in Prag als Fotograf. In Israel avancierte er zum viel gefragten Dokumentaristen des jüdischen Alltags. Prominente Politiker und Künstler gingen in dem kleinen Laden ein und aus, darunter Marc Chagall oder Eleanor Roosevelt. Bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel am 14. Mai 1948 war er der einzige akkreditierte Fotograf. Nach seinem Tod hinterließ er 250 000 Negative, die seine Witwe noch zwei Jahrzehnte lang mit Argusaugen hütete. 2011 starb auch sie; ihr Enkel Ben übernahm die Leitung der durch zahlreiche internationale Ausstellungen geehrten Institution.
„Life in Stills“ erzählt die Geschichte Israels und des Paars in unzähligen Schwarz-Weiß-Fotografien und Super-8-Aufnahmen, die immer wieder die Beobachtungen aus der Jetztzeit konterkarieren. Im Mittelpunkt steht jedoch das komplizierte Verhältnis zwischen Enkel und Oma, einer streitbaren und rechthaberischen Persönlichkeit, die sich trotz Schwerhörigkeit und Sehschwäche mit trockenen Kommentaren Gehör verschafft. „Für dich sind alle Kunden Nervensägen geworden“, kontert Ben, als ihn ihre Widerborstigkeit wieder mal aus der Fassung bringt. Trotzdem kümmert er sich aufopferungsvoll um die zerbrechliche Greisin, die sich in ihrem geliebten Laden stets makellos gepflegt präsentiert. Die beiden verbindet eine bedingungslose Zärtlichkeit, die jeden noch so schroffen Disput übersteht. Beharrlich ignoriert Miriam, dass ihr Enkel schwul ist. Als er sie auf ihrem Rollstuhl in die Wohnung bringt, die er gerade mit seinem Freund bezogen hat, nörgelt sie an allem herum, an dem vielen Hundekot auf der Straße und dem ausbleibenden Mittagessen. Wieder daheim, schwärmt sie dann davon, wie viele Mädchen doch in Ben verliebt seien, und ignoriert seine Einwände mit kindlich enttäuschter Miene. Auch die unterschiedliche Wahrnehmung des Familiendramas führt immer wieder zum eisigen Schweigen. Bens Vater beging Selbstmord, nachdem er Miriams Tochter aus Trennungsangst erschossen hatte. Seitdem beschimpft Miriam ihren Schwiegersohn als Versager und überflüssige Episode.
Ben zahlt es ihr heim, wenn er sie ins Krankenhaus zu einer Augenoperation begleitet und sie in dem komischen OP-Outfit fotografiert. Stets schimmert hinter den vielen Neckereien eine große Anhänglichkeit durch, etwa auf der Reise nach Frankfurt, wo Miriam ihre Fotos im perfekten Deutsch vorstellt. Oder bei den Verhandlungen mit der Stadt, die den Laden wegen eines Neubaus abreißen will. Als in Miriams Abwesenheit ihre Wohnung von Dieben verwüstet wird und die einzigen Negative der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung verschwunden zu sein scheinen, sucht sie zitternd und weinend Trost in den Armen ihres drei Köpfe größeren Enkels. Einer von vielen rührenden Momenten, die dieses humanistisch gestimmte Juwel zu einem kleinen Meisterwerk küren.
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