Der junge Rechtsanwalt Arthur Kipps durchlebt seit dem frühen Tod seiner Frau eine Phase der inneren Lähmung. Seine Arbeit erledigt er emotionslos, die Erziehung seines kleinen Sohns Edward übernehmen inzwischen andere aus der Verwandtschaft. Drei Jahre nach dem Unglück ist sein Arbeitgeber endgültig dabei, die Geduld mit ihm zu verlieren; die Reise nach Crythin Gifford soll Arthur als letzte Bewährungsprobe verstehen. Es gilt, den Nachlass der verstorbenen Alice Drablow aufzulösen, die bis zu ihrem Tod einsam in ihrem Haus auf einer Landzunge in der von den Gezeiten umspülten Küste Englands lebte. Nur wenn sich der bleiern über der Küste liegende Nebel lichtet und die Ebbe es zulässt, erkennt man den kaum befestigten Pfad, der sich als einzige Verkehrsverbindung nach Eel Marsh House durchs Watt schlängelt.
Die Bewohner von Crythin Gifford gehören ohnehin nicht zu den freundlichsten, doch als sie den Grund für die Ankunft des Fremden erfahren, scheint es, als hätten sie sich einen neuen Erzfeind auserkoren. Einzig der im Ort nicht wohl gelittene Gutsbesitzer Sam Daily erbarmt sich des jungen Londoner Anwalts und erweist ihm ein Mindestmaß an Gastfreundschaft. Doch auch er erklärt ihm nicht die abweisende Kälte, die man ihm entgegenbringt, als er versucht, Licht ins Dunkle von Eel Marsh House zu bringen.
Arthur bezieht Quartier in dem wenig heimeligen Anwesen, und bald beschleicht ihn ein diffuses Grauen. Sogar der kleine Hund, den ihm Sam anvertraut hat, scheint das beunruhigende Gefühl zu teilen, dass sie in dem alten Haus nicht allein sind. Irgendetwas von Alice Drablow ist hier verblieben und bemüht, ein grässliches Geheimnis zu bewahren, das mit dem Verschwinden ihres Sohns im Watt zu tun hat.
Spätestens seit Bram Stokers „Dracula“ weiß man, dass das Unheil nicht lange auf sich warten lässt, wenn sich Anwälte auf eine Reise in ländlich-einsame Gefilde begeben. In Susan Hills Variation begegnet der Protagonist zwar nicht dem Teufel in Vampirgestalt, dafür aber einer Art kollektiven Wahnsinns, der sich in einer schwarz gekleideten Untoten im Nebel manifestiert. Englands Küsten Ende des 19. Jahrhunderts mögen zwar weniger wild sein als es Stokers Transsylvanien war, geben aber trotzdem ein perfektes Setting für ein stimmungsvolles Gruselstück ab. Ein perfektes Sujet auch für Daniel Radcliffe, der nach „Harry Potter“ neue Herausforderungen sucht – und ein perfekter Stoff für die traditionsreiche Horror-Schmiede Hammer Films, die sich nach 30 Jahren Winterschlaf anschickt, in der Tradition von „Dracula“ (fd 7644), „Quatermass“ (fd 5011) und „Braut des Teufels“ die Twilight Zone auszuleuchten.
Regisseur James Watkins geht der Ruf nach, einer recht harten Gangart des Horrors zu frönen. Doch bereits in seinem hierzulande zumeist stark gekürzt gezeigten „Eden Lake“ offenbarte er ein beachtliches Gefühl auch für psychologisch stimmige, atmosphärisch packende Inszenierung einer überwältigenden Bedrohung. Gute Voraussetzungen auch, um Watkins mit der Umsetzung einer „Gothic Novel“ zu betrauen, die nicht von Blutfontänen, sondern von Schemen und dunklen Ecken jenseits des Kerzenscheins lebt. Kameramann Tim Maurice-Jones, der bislang in Filmen von Guy Ritchie für originelle, aber überdreht Bilder sorgte, hielt sich dabei merklich zurück und fotografierte geheimnisvoll anmutende, glücklicherweise nicht durch ein Schnittfeuerwerk zerstörte Sequenzen.
Kave Quinn, die bislang stilvoll den modernen Wahnsinn („Trainspotting“, fd 32 052; „Layer Cake“) auszustatten verstand, empfiehlt sich mit den atemberaubenden Spielzimmern, dem von aschbraunen Stoffen und Ebenholzmöbeln „lebenden“ Eel Marsh House eindrücklich für einen „Oscar“. Komponist Marco Beltrami schließlich beweist, dass er zu den originellsten Filmkomponisten Hollywoods gehört: Seine Musik für Turmglockenspiel und Angstschweiß suggeriert, dass man zu keiner Zeit sicher sein kann. „Die Frau in Schwarz“ ist ein altmodischer Horrorfilm, der die Sinne schärft und Lust auf das eigene Unbehagen macht, der in Schauder schwelgt und dabei auch den einen oder anderen Schock nicht verschmäht. Geduld und Einfühlungsvermögen voraussetzt, belohnt er den Zuschauer mit wohliger „Angstlust“.