In Buenos Aires laufen zwei im selben Häuserblock lebende Singles so lange aneinander vorbei, bis sie neue Fenster in ihre Wohnungen einbauen lassen und sie sich über den neuen Sichtkontakt näher kommen. Zauberhafte Romanze um junge Großstädter, die emotional und poetisch über das Leben und die Liebe philosophiert und dabei urbane wie virtuelle Räume einer hellsichtigen Kritik unterzieht. Der klug strukturierte, sorgfältig inszenierte Film entwirft dabei ein ebenso liebevolles wie differenziertes Bild der argentinischen Hauptstadt. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Medianeras
- | Argentinien/Spanien/Deutschland 2011 | 96 Minuten
Regie: Gustavo Taretto
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Filmdaten
- Originaltitel
- MEDIANERAS
- Produktionsland
- Argentinien/Spanien/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Eddie Saeta/Pandora Filmprod./Rizoma Films/Televisió de Catalunya (TV3)/Zarlek Prod.
- Regie
- Gustavo Taretto
- Buch
- Gustavo Taretto
- Kamera
- Leandro Martínez
- Musik
- Gabriel Chwojnik
- Schnitt
- Pablo Mari · Rosario Suárez
- Darsteller
- Javier Drolas (Martín) · Pilar López de Ayala (Mariana) · Inés Efron (Ana) · Adrián Navarro (Lucas) · Rafael Ferro (Rafa)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- 03.05.2012
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Der Film ist eine Liebeserklärung an Buenos Aires, voller präziser Blicke, genauer Töne und verspielter Details; er ist aber auch eine Liebeserklärung an das Leben und die Liebe selbst. Während „Superclassico“ (fd 41 036) jenseits von Touristenklischees nicht viel zu Buenos Aires einfällt, beschäftigt sich „Medianeras“ tatsächlich mit dem Ort, an dem er spielt. Und zwar höchst kritisch. „Ohne Kontrolle und Stil“, „voller ästhetischer und ethischer Widersprüche“, ja, sogar als „absolute Fehlplanung“ ragen die Häuser der Stadt in den Himmel, heißt es zu Beginn. Dazu sieht man Aufnahmen der Architektur von Buenos Aires: hässliche, schöne, alte, neue, große, kleine, repräsentative, zerbröckelnde, wild gebaute, sorgfältig geplante Häuser aller Art und Couleur. Dazwischen Kabelmasten, Verkehrsschilder, Werbetafeln, Baukräne, hie und da ein verirrtes Bäumchen. Architekten und Bauherren, so heißt es im Kommentar mit einiger Ironie, seien mithin verantwortlich für „Depressionen, Einsamkeit, Verspannungen, Gewalt in der Familie, Selbstmord“. Mit dieser eindrucksvollen Collage zur Wechselwirkung des eher spröden Themas Architektur mit Leben und Gesellschaft legt Autor und Regisseur Gustavo Taretto ein flottes Tempo und eine ebenso witzige wie kluge Tonlage vor. Seiner Thematik bleibt der Film auch dann treu, wenn er die Liebesgeschichte von Martín und Mariana erzählt, in der zwei füreinander Bestimmte inmitten der Millionenstadt viele Male aneinander vorbei laufen – um ganz am Ende doch zueinander zu finden.
Martín und Mariana sind das, was man typische Großstädter des 21. Jahrhunderts nennen muss: einsame Singles, die mit ihrer Beziehungslosigkeit allerdings ganz unterschiedlich umgehen. Während der Web-Designer Martín sich auf ein Leben im virtuellen Raum zurückgezogen hat und seine enge Wohnung kaum noch verlässt, geht Mariana körperlicher und auch ehrlicher mit der eigenen Verlorenheit um. Die studierte Architektin, die noch nie etwas konstruiert hat, sondern als Schaufensterdekorateurin arbeitet, lebt nach der Trennung von ihrem Ex-Freund inmitten lauter unausgepackter Kartons und Schaufensterpuppen, die ihr als schaler Ersatz für menschliche Beziehungen dienen. Martín und Mariana wohnen im selben Häuserblock. Sie nehmen sich aber erst wahr, als sie einen kleinen Aufbruch wagen und Licht in ihr im wahren Sinne des Wortes dunkles Leben holen: Beide lassen sich ein Fenster in die Wohnungswand schlagen, in die titelgebenden „Medianeras“, die Brandmauern, die sichtbar werden, wenn innerhalb einer Häuserzeile ein Gebäude abgerissen wird. Es ist eine der schönsten Szenen des an schönen Szenen sehr reichen Films, in der sich Martín und Mariana das erste Mal aus ihren neuen Fenstern lehnen, zwischen sich die Leere eines abgetragenen Hauses, jeweils eingerahmt von anspielungsreicher Werbung, die die entsprechenden Brandmauern schmückt.
„Medianeras“ ist ein kluger, durchdacht aufgebauter Film über die Großstadtliebe in digitalen Zeiten, über das Trennende, aber auch Verbindende, das die auf Dauer angelegte Architektur wie das flüchtige Internet einer solchen Liebe mit auf den Weg geben. Trotz seines philosophisch-geistigen Überbaus ist er jedoch nicht verkopft. Mit großer inszenatorischer Sorgfalt hat Gustavo Taretto aus seinem gleichnamigen, mit Preisen überschütteten Kurzfilm von 2005 sein Langfilmdebüt geschaffen: Über die stimmige, poetische Bildsprache, die Musikauswahl (wunderschön der Einsatz von „True love will find you in the end“ von Daniel Johnston), die gut besetzten Schauspieler Javier Drolas und Pilar López de Ayala bis zum ironisch-melancholisch-romantischen Ton des Drehbuchs ist „Medianeras“ rundum gelungen. Einzig der Schluss, ein allzu banales YouTube-Video des singenden Pärchens raubt dem Film etwas von seinem Zauber.
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