„In Time“ ist wahrscheinlich der radikalste linke Film, den Hollywood je hervorgebracht hat. Dieser SciFi-Thriller, dessen Handlung von „Flucht ins 23. Jahrhundert“
(fd 20 203) und „Bonnie und Clyde“
(fd 15 130) inspiriert ist, während die Figurenzeichnung „Uhrwerk Orange“
(fd 17 806), Godard und Victor Hugo zitiert, artikuliert nämlich nicht nur in den Dialogen Empörung über die ungleiche Verteilung gesellschaftlichen Vermögens; er malt sich in einer Szene massenhafter Grenzübertritte, analog zum Fall der Berliner Mauer, auch den Kollaps eines Wirtschaftssystems aus, das ungeachtet eines futuristischen Anstrichs ausdrücklich „Kapitalismus“ genannt wird. Als probates Mittel, um einen solchen Systemsturz herbeizuführen, erscheint eine Raubserie, die unverkennbar dem schießwütigen Treiben der „Symbionesischen Befreiungsarmee“ SLA nachempfunden ist, der wohl wirrköpfigsten amerikanischen Stadtguerilla der 1970er-Jahre.
Auch wenn all das unübersehbar auf unsere Gegenwart gemünzt ist, spielt der Plot in einer vagen Zukunft, in der alle Menschen nach 25 Jahren aufhören zu altern. Danach kann man weiterleben und wie 25 aussehen, aber nur, solange das individuelle Zeitkonto nicht leer ist. Zeit ist in diesem Szenario nämlich die Währung, mit der Fabrikarbeit entlohnt und Kaffee am Kiosk bezahlt wird, wobei den jeweiligen Kontostand implantierte Digitalziffern am Unterarm anzeigen. Wer also noch 60 Minuten hat und in dieser Frist nicht weitere Zeit auftreibt, ist nach dieser Stunde tot. Die Reichen können dagegen ewig leben. Um keinen Unfalltod zu riskieren, kann ihnen daher nichts langsam genug gehen, wohingegen die Armen ständig in Eile sind. So heißt es zumindest in den Dialogen von Andrew Niccol, der auch für Drehbuch und Co-Produktion verantwortlich zeichnet, wobei der Kardinalfehler seiner Regie darin besteht, dass es auffällig an Tempo und Rhythmus hapert.
Dies fällt umso mehr auf, als der Plot entsprechende Variationen erfordert. Der Protagonist Will kommt als Habenichts unversehens zu einem Jahrhundertvermögen, woraufhin er aus dem tristen Proleten-Ghetto, das wie eine Mischung aus einem westlichen Arbeiterviertel des 19. Jahrhunderts und dem aktuellen Lateinamerika aussieht, ins Refugium der Reichen aufbricht, die ihre Zeit unerklärlicherweise zwischen jenen stahlblauen Glastürmen vergeuden, die in unserer Realität das besonders geschäftige Treiben großer Konzerne beherbergen. Dort konfisziert ein verbissener Cop ungerechtfertigt Wills Zeitvorrat, weshalb der es plötzlich wieder eilig hat, was erstmals in ihrem Leben auch für die Bankierstochter Sylvia gilt, die Will verlegenheitshalber als Geisel nimmt. Hier ist zu erahnen, dass Niccol von der existenziellen Erregung erzählen will, die sich ergibt, wenn jede Minute zählt. Nur gelingt dies der lahmen Inszenierung nicht, weil es ihr an der notwendigen Modulation unterschiedlicher Tempi mangelt. Weder sieht der Alltag im Ghetto ungewöhnlich hektisch aus, noch findet Niccol Bilder, um die risikoscheue Langsamkeit des Wohlstands treffend vor Augen zu führen. Wenn man die Reichen im Casino und bei einem Abendempfang sieht, stehen und sitzen sie zwar bloß herum; doch genau das tun Menschen bei solchen Gelegenheiten nun einmal, auch im Hier und Heute, da niemand ewig lebt. Wenn Will dem Beispiel der SLA-Entführer der Enkelin des Medien-Moguls William Randolph Hearst folgt, die deren Familie einst die Ausgabe von Lebensmitteln an die Armen abpressten, und nun seinerseits von Sylvias Vater verlangt, Zeit gratis unter die Leute zu bringen, wird einem schmerzhaft bewusst: Selbst wenn Einkommen und Vermögen gerechter verteilt würden, wird einem niemand die wertvollen zwei Stunden, die dieser Film dauert, zurückgeben können.