Die verlorene Zeit (2009)

Drama | Deutschland 2009 | 111 Minuten

Regie: Anna Justice

In den 1970er-Jahren sieht eine in New York lebende Jüdin, die einst vor den Nazis aus Europa floh, im Fernsehen Bilder eines Mannes, den sie in einem KZ kennen und lieben lernte, und macht sich auf, den Totgeglaubten zu finden. Mittels der Rahmenhandlung und Rückblenden in die NS-Zeit wird eine durch die Wirren der Geschichte erschütterte Biografie beleuchtet. Dank einer dezenten Musik und der klar strukturierten Handlungsführung wird diese nicht sentimental aufgeladen, auch wenn die Dramaturgie bisweilen ins Holpern gerät. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
MediaPark Film- und Fernsehprod.
Regie
Anna Justice
Buch
Pamela Katz · Anna Justice
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Christoph Kaiser · Julian Maas
Schnitt
Uta Schmidt
Darsteller
Alice Dwyer (Hannah Silberstein) · Mateusz Damiecki (Tomasz Limanowski 1944) · Dagmar Manzel (Hannah Levine) · Shantel VanSanten (Rebecca Levine) · David Rasche (Daniel Levine)
Länge
111 Minuten
Kinostart
24.11.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama

Heimkino

Verleih DVD
Studio Hamburg
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Diskussion
Die ersten matt und dunkel gehaltenen Sepia-Bilder aus der Hölle des Konzentrationslagers stimmen misstrauisch. Das liegt vor allem an der überdeutlichen Maske, die eher einer Kriegsbemalung ähnelt und das sadistische Quälen der Häftlinge durch die immerfort bellenden Aufseher wie einen grotesken Danse Macabre erscheinen lässt. Dass Gewaltszenen wie diese spätestens seit „Schindlers Liste“ (fd 30 663) oder zuletzt „Der Pianist“ (fd 35 643) zum ambivalenten Standard eines nachinszenierten Holocaust gehören, steigert das Interesse für die jede Sekunde der Willkür ausgelieferten Protagonisten nur bedingt. Einige grundlose Hinrichtungen und mörderische Appelle später zittert man aber trotzdem noch mit der Berliner Jüdin und dem polnischen Widerstandskämpfer mit, was aber eher der eigenen Fantasie und den engagierten Darstellern (Mateusz Damiecki und Alice Dwyer) geschuldet ist als der verschenkten Wucht der Fluchtgeschichte eines Liebespaars, das mit dem Mut der Verzweiflung dem Terrorsystem trotzt. Immerhin kommen keine weiteren störenden Fehltritte hinzu. Die von nun an auf Realismus setzende Kamera folgt den Entkommenen hastig durch den Wald; das Drehbuch verzichtet auf kalkulierte Spannungsbeschleuniger mit Schäferhunden und übereifrigen Suchtrupps. Trotz ihrer katastrophalen körperlichen Verfassung lieben sie sich im Schutz der Bäume, stehlen auf einem Bauernhof Kleidung und schlagen sich bis zum Haus des Polen durch. Hier wartet ein besitzergreifende Mutter (Susanne Lothar mit unnachahmlicher Präsenz), die den Sohn nicht nur an seiner Mission hindern möchte, heimlich aufgenommene KZ-Fotografien nach England zu schmuggeln. Es ist vor allem seine neue Gefährtin Hannah Silberstein, die sie als Antisemitin ablehnt und keine Gelegenheit auslässt, um ihr Überleben zu gefährden. Dass sie mit ihrer kaltherzigen Eifersucht nicht durchkommt, weiß man allerdings früh aus der Rahmenhandlung, die sich im fließenden Wechsel in die Kriegsereignisse drängt. Sie zeigt Hannah 1976 in ihrem neuen Leben in New York. Sie ist auf den ersten Blick glücklich verheiratet und hat eine erwachsene Tochter, wird aber immer noch von den traumatischen Erinnerungen geplagt. Dann sieht sie zufällig in einer Wäscherei den tot geglaubten Tomasz im Fernsehen. In der Funktion eines Zeitzeugen gibt der Intellektuelle ausgerechnet ein Interview über ihre kurze Begegnung und die Schwierigkeiten einer Annäherung im KZ. Der Zufall hat fatale Folgen auf Hannahs seelisches Gleichgewicht. Sie distanziert sich innerlich von ihrer Familie, halluziniert den melancholisch beobachtenden Liebhaber während einer Geburtstagsparty für ihren Mann herbei und widmet sich obsessiv der Suche nach seinem Phantom. 30 Jahre nach dem ersten vergeblichen Versuch ist das Rote Kreuz diesmal erfolgreich. Der geschiedene Tomasz lebt mit seiner Tochter, die sich gegen das kommunistische Regime engagiert, in einer polnischen Kleinstadt. Hannah lässt seine Existenz von nun an keine Ruhe, sie packt die Koffer mit dem Ziel, die verlorene Zeit endlich aufzuholen. Regisseurin Anna Justice ist klug genug, die durch die Wirren der Geschichte erschütterten Biografien dank einer dezenten Musik und klar strukturierter Handlungsführung nicht unnötig sentimental aufzuladen; die Beklemmung stellt sich angesichts der Schicksale und schmerzhaften Trennungen ganz von allein ein. Zwischendurch stößt der fehlende Mut zur eigenen Handschrift auf, die Übergänge zwischen Vergangenheit und Erzählzeit stottern, und die Hoffnung auf das Betreten noch nicht ausgetretener Pfade wird enttäuscht. Keine Offenbarung, aber eine solide Partitur aus Erinnern, Trauerarbeit und Versöhnung.
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