Win Win (2011)

Drama | USA 2011 | 106 (TV 97) Minuten

Regie: Tom McCarthy

Ein erfolgloser Jurist in New Jersey, der in seiner Freizeit Ringkämpfer trainiert, nimmt nicht ganz uneigennützig einen Jungen bei sich auf, der sich als Top-Ringer erweist. Damit hofft er, einen Versicherungsbetrug kaschieren zu können, bei dem er den demenzkranken Großvater des Jungen ins Altersheim abgeschoben hat. Einfühlsames Drama, das von glaubwürdigen Darstellern getragen wird und geschickt eine Coming-of-Age-Geschichte mit dem moralischen Schlingerkurs des Anwalts verwebt. Allerdings droht der ruhige Erzählrhythmus bisweilen in Langeweile umzuschlagen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WIN WIN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Fox Searchlight Pic./Groundswell Prod./Next Wednesday Prod./Everest Ent.
Regie
Tom McCarthy
Buch
Tom McCarthy
Kamera
Oliver Bokelberg
Musik
Lyle Workman
Schnitt
Tom McArdle
Darsteller
Paul Giamatti (Mike Flaherty) · Amy Ryan (Jackie Flaherty) · Bobby Cannavale (Terry Delfino) · Jeffrey Tambor (Stephen Vigman) · Burt Young (Leo Poplar)
Länge
106 (TV 97) Minuten
Kinostart
21.07.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Das erste, was man von Mike Flaherty sieht, ist sein breiter Rücken, der in einem knallig-gelben Kapuzen-Sweatshirt steckt. Das Kleidungsstück und sein dahintrabender Träger wirken deplaziert auf der waldigen Jogging-Strecke, und als zwei Läufer den rundlichen Mann links und rechts überholen, bleibt Mike stehen, als hätte seine Leibesübung jeden Sinn verloren. Dass in diesem Moment der Filmtitel „Win Win“ aufscheint, wirkt wie der reine Hohn; denn Mike reitet ohnehin nicht gerade auf der Erfolgswelle. Seine Anwaltspraxis läuft mäßig, und als nebenberuflicher Ringkampf-Trainer einer High School hat er es mit minderbegabten Sportlern zu tun. Immerhin kann Mike auf ein intaktes Familienleben bauen – was andererseits natürlich Teil seines Finanzproblems ist. Um das „Nest“ zu erhalten, begibt sich der Anwalt in eine juristische und ethische Grauzone, übernimmt die staatlich gut subventionierte Obhut eines älteren Klienten und liefert ihn dann doch im Altersheim ab. Mit dem erschlichenen Überschuss will er die eigene Privatkasse sanieren. Dem demenzkranken Mann spiegelt Mike die Einweisung als richterlich beschlossene Sache vor. Versteht sich, dass der Trick früher oder später auffliegen muss. Verkompliziert und zugleich in den Hintergrund gedrängt wird Mikes Winkeladvokatentum dadurch, dass plötzlich Kyle, der Enkel jenes einträglichen Klienten, auftaucht. Der Halbwüchsige ist seiner drogenabhängigen Mutter entflohen. Statt wie geplant bei seinem Großvater Unterschlupf zu finden, wird der etwas unberechenbare Junge mit der wirren, blond gebleichten Mähne von Mike aufgenommen. Eine eigentümliche Freundschaft entsteht, sie bildet das Zentrum des Films. Geschickt kombiniert Tom McCarthy die Coming-of-Age-Story des Ausreißers mit dem moralischen Schlingerkurs eines von der Midlife-Krise geplagten Erwachsenen, der dank Paul Giamattis einfühlsamer Darstellung nie unsympathisch wirkt. Was Mike und Kyle (glaubwürdig verstockt: Alex Shaffer) verbindet und die im Titel angedeutete Win-Win-Situation doch greifbar erscheinen lässt, ist der Ringkampf. Der Drehbuchzufall will es, dass Kyle sich als hochtalentierter und bereits preisgekrönter Wrestling-Amateur für Mikes Ringerklasse empfiehlt und die Erfolgsquote der Truppe in Auswärtsturnieren mächtig in die Höhe treibt. Was den Film stark macht, sind die unvorhersehbaren Wendungen und die unerwartet ins Spiel eingreifenden Nebenfiguren. Die im Vorstadt-Milieu von New Jersey angesiedelte Story wirkt über weite Strecken authentisch. Wie schon in seinem zweiten Spielfilm „Ein Sommer in New York – The Visitor“ (fd 39 665), in dem illegale Immigranten eine wichtige Rolle spielen, lässt McCarthy auch hier aktuelle Bezüge einfließen. Diesmal ist es die ökonomische Krise, die seine Figuren zum Handeln und mitunter zur Revision ihres Selbstbilds zwingt. Und wie die beiden Vorgängerfilme setzt auch „Win Win“ vor allem auf die Charaktere und die ruhige, langsam entwickelte Dramaturgie. Ausbaufähig erscheint McCarthys Realismus allerdings auch diesmal: Ohne Drehbuchschwächen geht sein Film nicht durchs Ziel. So passiert im Mittelteil, in dem sich die Beziehung zwischen Kyle und Mike entfaltet, derart wenig, dass der lockere Erzählduktus in schlichte Langeweile umzukippen droht. Als Sidekicks stellt McCarthy seinem beleibten Helden zudem zwei Freunde zur Seite, die als Charaktere einfach zu grob gestrickt sind. Vor allem der in einer Ehekrise steckende Terry wirkt in seiner aufgeregten Extrovertiertheit mehr als einmal peinlich, ohne dass daraus komische Funken geschlagen würden. Auf der Habenseite steht die sichere Darstellerführung des Regisseurs (der als Schauspieler mit Clint Eastwood, Peter Jackson und Roland Emmerich gedreht hat). Einmal mehr brilliert Amy Ryan als Mikes scharfsichtige Ehefrau, und Burt Young, einer der ganz großen Kleindarsteller, rührt als demenzkranker Leo. Melanie Lynskey („Heavenly Creatures“, fd 31 127) wurde offenbar sehr bewusst gegen ihren Typ besetzt: Sogar mit Kyles drogensüchtiger Problemmutter kann man Mitleid empfinden. Einige Verlierer sind bei „Win Win“ also im Spiel, ausgegrenzt wird niemand.
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