Unter Leitung eines alten abgeklärten Kommissars ermitteln drei Polizisten im Mordfall an einer jungen Frau. Dabei kommen sie nicht nur einem einflussreichen Unternehmer, sondern auch der Verlogenheit tradierter Ehrbegriffe auf die Spur. Authentisches Porträt der Zwischenmenschlichkeiten im türkischen Ermittleralltag, das ungewöhnliche psychologische Akzente setzt und die Basis für einen ebenso spannungsreich wie abgeklärt inszenierten Thriller bietet.
- Ab 16.
Av Mevsimi - Jagdsaison
Krimi | Türkei 2010 | 142 Minuten
Regie: Yavuz Turgul
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Filmdaten
- Originaltitel
- AV MEVSIMI
- Produktionsland
- Türkei
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Fida Film
- Regie
- Yavuz Turgul
- Buch
- Yavuz Turgul
- Schnitt
- Ismail Canlisoy
- Darsteller
- Sener Sen (Ferman) · Cem Yilmaz (Idris) · Çetin Tekindor (Battal) · Melisa Sözen (Asiye) · Okan Yalabik (Hasan)
- Länge
- 142 Minuten
- Kinostart
- 02.12.2010
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Krimi | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Bereits der Vorspann schafft eine schwebende Stimmung des drahtig-angespannten Misstrauens, gemischt mit einer Magie, die selten geworden ist im kommerziellen Kino: Langsam gleitet die Kamera die Flussarme eines verschmutzten Sumpfgebiets entlang, fährt hoch in abgestorbene Kronen uralter Eichen, verfängt sich an ausrangierten Koffern, Töpfen, Autoteilen, die sich im Buschwerk am Ufer sammeln, um schließlich an einer abgetrennten Hand hängen zu bleiben, die hier auch schon seit einiger Zeit liegt. Ein Fall für die Mordkommission unter dem erfahrenen Kommissar Ferman, der mit seinem langjährigen Kollegen Idris und, weil in der Direktion Personalmangel herrscht, dem Youngster Hasan nach dem Täter sucht. Die Jagd führt das Team nicht nur durch verschiedene Istanbuler Milieus, sondern auch an die Grenzen der Verträglichkeit von Beruf und Privatleben.
Regie-Altmeister Yavuz Turgul drehte 1996 mit „Eskiya – Der Bandit“ (fd 32 788) einen Meilenstein der türkischen Filmgeschichte: Mit seiner Synthese aus Autorenfilm und Mainstream gelang es ihm, das türkische Publikum für einheimische Produktionen zurückzugewinnen. Seither hat das türkische Kino quantitativ und qualitativ stetig an Fahrt gewonnen. „Av Mevsimi“ ist so etwas wie das i-Tüpfelchen auf dieser Entwicklung. Turgul verbindet das mit ruhiger Hand inszenierte Protokoll der Ermittlungsarbeiten zu einem Mordfall mit der unaufdringlich gestellten Frage nach gesellschaftlicher Moral. Da sind zunächst die Interna der Ermittlungsarbeit: Ferman, Idris und Hasan quälen sich durch die Mühen des Alltagslebens. Während der emotionalen Achterbahnfahrten zwischen belastenden Erfahrungen mit Tod und Sterben, zermürbendem Observieren und akribischer Spurensuche zerbrechen zwar Liebesleben, auf der anderen Seite aber entstehen persönliche Bindungen wie die väterliche Beziehung von Ferman zu Idris. Mit minutiöser Authentizität protokolliert Turgul die Kollegenwitze, mit denen die Älteren die Jüngeren aufziehen und die Realität auf Distanz halten. Und den Zusammenhalt im Dezernat, wie er sich etwa in der berührenden Abschiedsfeier für einen in den Ruhestand gehenden Kollegen ausdrückt. Bilder eines Alltag, hinter dessen Sammelsurium aus scheinbaren Beiläufigkeiten sich das Psychogramm eines Drei-Generationen-Trios entwickelt, unter dessen kugelsicheren Westen gebrochene Herzen schlagen. Wenn auch die Anmerkungen zum gehandicapten Liebesleben oft ins Verkürzt-Plakative abdriften, entwickelt sich die sehr solide Basis für einen Thriller-Plot, in dessen Verlauf sich hinter dem Mordfall der zynische Plan eines einflussreichen Unternehmers auftut, der eine junge Frau tötete, um seine an Niereninsuffizienz leidende Tochter zu retten.
Die Ermittlungen führen die Polizisten durch Istanbuler Nachtbars, zu einer religiösen Familie, schließlich in die opulente Fabrikantenvilla. Immer wieder ist in diesen verschiedenen Milieus von Ehre die Rede, wenn doch nur Eigennutz gemeint ist – ein Verweis auf die Sollbruchstellen einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft, deren Definition von Moral zum Ritual verkommt. Ein kollektiver Selbstbetrug, an dem auch die Protagonisten nichts ändern können. Ihnen bleibt, jedem auf seine Weise, die eigene Integrität zu wahren – mit Kündigungsabsichten wie bei Hasan, der sich den Job anders vorgestellt hatte, Testesteron gesteuertem Ausrasten bis zur Selbstzerstörung wie bei Idris, in dessen Rolle man den Stand-Up-Comedian Cem Yilmaz erstmal in einer Charakterrolle sieht, und Altersweisheit wie bei Ferman, der mit dem souverän agierenden Sener Sen brillant besetzt ist. Ein abgeklärtes Vexierspiel, dessen Fragen nach der gesellschaftlichen Moral gut genug im Subtext versteckt sind, um Raum für ehrliche Krimi-Unterhaltung auf intellektuell ansprechendem Niveau zu lassen.
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