Dokumentarfilm über sechs Palästinenser aus Bethlehem, die vor 20 Jahren als siegesgewisse "Intifada-Kinder" auf einem Foto posierten. Was als Aufstand der Schüler begann, mündete in eine unterdrückte Gesellschaft, die in den Biografien der Protagonisten wort- und gestenreich aufscheint. Differenziert ergreift er Partei für die Palästinenser, ohne ideologisch zu sein, und skizziert in groben Zügen die historische Entwicklung. Eine pointierte Momentaufnahme der Situation in den Autonomiegebieten.
- Ab 14.
Kinder der Steine - Kinder der Mauer
Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 87 Minuten
Regie: Robert Krieg
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- World TV/WDR
- Regie
- Robert Krieg · Monika Nolte
- Buch
- Robert Krieg · Monika Nolte
- Kamera
- Peter Petridis
- Musik
- Michael Götz
- Schnitt
- Robert Krieg
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- 24.02.2011
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Diskussion
Im Schatten des „Facebook“-Aufstands, der in Tunesien und Ägypten die alten Regime erschüttert, droht der Nahost-Konflikt, der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, in den Hintergrund zu geraten. Ein Dokumentarfilm wie der von Robert Krieg und Monika Nolte kommt deshalb umso passender, weil er nicht nur an die unerträgliche Lage im besetzten Westjordanland erinnert, sondern überdies die desaströse Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte nachzeichnet. Er tut dies aus einem parteiische Blickwinkel, ohne blind oder ideologisch zu sein. Vor 20 Jahren, während der 1. Intifada, als Schüler und Jugendliche mit Steinen gegen die israelische Armee vorgingen, schoss der Fotograf Ralf Emmerich an einer Straßenecke ein schwarz-weißes Bild, das sechs übermütige Jungen zeigt, die stolz das Victory-Zeichen in die Kamera recken. Die Aufnahme entstand während der Dreharbeiten zu Robert Kriegs Film „Intifada – Auf dem Weg nach Palästina“, der bereits im Titel die Aufbruchsstimmung jener Jahre spiegelte, als eine Versöhnung zwischen beiden Völkern zum Greifen nahe schien. Heute gewinnt man den Eindruck einer extremen Zwei-Klassen-Gesellschaft mit indigenen Parias und hochgerüsteten jüdischen Kolonisten, die das vom israelischen Kernland durch eine monströse Mauer abgeteilte Gebiet mit ihren hässlichen Betonsiedlungen überziehen und nur darauf zu warten scheinen, dass sich das „Problem“ mit den Palästinensern irgendwann erledigt haben wird.
Die Filmemacher haben die Jungs von damals ausfindig gemacht, die noch immer in der Altstadt von Bethlehem leben. Ihre Vita ist vom Bürgerkrieg gezeichnet: Keiner hat die Schule abgeschlossen, fast alle saßen als Kinder in israelischen Gefängnissen, teilweise bis zu sieben Mal. Ihre Existenz und die ihrer Familien bestreiten sie als Hilfsarbeiter, fliegende Händler und Handlanger; einer schlachtet tagein, tagaus Hühner: marginalisierte Existenzen am Rand einer unterdrückten Gesellschaft, die mit Witz und Sarkasmus auf ihr Schicksal reagieren, ohne sich aufgegeben zu haben. Der Film führt sie wieder zusammen, lässt sie wort- und gestenreich über ihre Welt räsonieren, schickt sie wie damals auf Streifzüge, die unweigerlich an der „Mauer“ enden. Am Ende fahren einige von ihnen mit dem Auto von Bethlehem nach Nablus, quer durch das karstige, von der Sonne ausgedörrte Land, wo es außer ein paar Bäumen und trutzigen israelischen Wehrdörfern kaum etwas gibt. Die Kommentare der Männer sind keine politischen Analysen, rekapitulieren im Lauf des Films aber in groben Zügen den historischen Verlauf vom Scheitern der Osloer Friedensverhandlungen über die 2. Intifada und den Einmarsch der Israelis, wobei durchaus eine Bandbreite an Meinungen anklingt, von giftigen Anklagen bis zur Selbstkritik. Überdeutlich wird, was der Filmtitel auf eine deprimierende Formel bringt: dass die sich 1989 als Sieger fühlenden Kinder ihren eigenen Nachwuchs in einem von Wachtürmen umstellten Gefängnis aufziehen, aus dem es aus eigenen Kräften kein Entrinnen gibt. Manch einer wie Khader, der den christlichen Pilgern vor der Geburtskirche Rosenkränze verkauft, hat darin zwar seine auskömmliche Nische gefunden, doch den anderen bleiben nur Träume: ein Mal das Meer zu sehen oder in die Bildung der Kinder zu investieren, die es dann, vielleicht in Norwegen oder anderswo, zu etwa bringen sollen. Das Bild von der Solidarität, derzufolge ein Bündel von Holzstücken nicht zerbrochen werden kann, stammt indes aus einer vergangenen Zeit: Die Baumstümpfe abgeholzter Olivenhaine am Straßenrand nach Nablus, die den Sicherheitsbedürfnissen der neuen Herren geopfert wurden, sprechen eine andere Sprache.
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