Eine Stimmung aus Tristesse und latenter Bedrohung liegt über dem einsamen Bauernhof, auf dem der etwa 40-jährige Jean-Claude und der halb so alte Kevin leben. Sind beide Vater und Sohn? Oder Brüder? Aus ihrem Umgang miteinander lässt sich so gut wie nichts ablesen; er ist kühl, nahezu sprachlos, bisweilen flackert kurz Gewalt auf. Zu Beginn kniet Kevin im Hof und bellt den Hofhund an, der wütend zurückkläfft, bis Kevin ihm hart auf die Schnauze schlägt. Mit diesem Jungen stimmt etwas nicht. Die Leute im Dorf nennen ihn „le chien“; er ist ihnen unheimlich, und das aus gutem Grund. Einmal sieht man, wie Kevin mit einem Jagdgewehr durch die Wälder in der Nähe des Hofs streift und unmotiviert einer Familie nachsetzt, die vorbei radelt – und wie er anlegt und abdrückt. Diese Aggression wirkt allerdings weniger „böse“ als kindlich-verspielt, so, als könne er nicht abschätzen, was er da tut. Tatsächlich ist Kevin „zurückgeblieben“: Als ihn die Sozialarbeiterin Michèle, Jean-Claudes neue Geliebte, fragt, wie alt er sei, antwortet er: „13.“. Dabei sieht man ihm deutlich an, dass er eher 18 oder 20 Jahre hinter sich hat.
Mit dem Eindringen der attraktiven Michèle in die unterkühlte Männergemeinschaft werden auf Eis gelegte Emotionen wach. Das merkt man an den als Rückblenden gekennzeichneten Erinnerungen Jean-Claudes an eine andere Frau, die er früher einmal liebte. Kevins Mutter? Kevin wiederum zeigt sich von Michèle angezogen: Sexuelles Begehren mischt da mit – beide begegnen sich, als Michèle nach der ersten Liebesnacht mit Jean-Claude nackt in dessen Bett aufwacht und Kevin gerade seinen Kopf zwischen ihre Schenkel steckt. Aber darüber hinaus gibt es die Sehnsucht nach mütterlicher Fürsorge, die Michèle nach der ersten Irritation (zum Missfallen Jean-Claudes) für den gestörten Jungen an den Tag legt.
Ein bisschen erinnert die Atmosphäre, die Christian Monnier entwirft, an Tim Roths Familiendrama „The War Zone“
(fd 34 272); auch hier ahnt man schnell, dass ein krankhaftes Familiengeheimnis der Grund für das seltsame Verhalten des Jugendlichen ist. Die Bilder einer sich unter verhangenem Himmel ausbreitenden ländlichen Einsamkeit und die Kargheit der Lebensbedingungen, die auf die Charaktere der Menschen abzufärben scheinen, schaffen eine suggestive Stimmung. Allerdings gelingt es Monnier deutlich weniger als Roth, seinem Film eine erzählerische Basis zu geben. Die Figuren sind zwar (auch schauspielerisch) interessant angelegt, werden jedoch nicht richtig ausgelotet: Ihre Gefühle und Beziehungen, aber auch die konkreten Lebensumstände bleiben bloße Andeutungen. Am Ende löst sich die unheilschwangere Atmosphäre in einer doch recht banalen Familientragödie auf. Vielleicht hätte der Film besser funktioniert, wenn Monnier sich auf eine seiner drei Hauptfiguren konzentriert und deren Perspektive in dem Mittelpunkt gestellt hätte; indem der Film aber ein ähnliches erzählerisches Gewicht sowohl auf Kevin als auch auf Jean-Claude und auf Michèle legt, kommt er keinem der komplexen Charaktere wirklich nahe.