Eine ganz normale Familie: Oberhaupt Nic erzählt vor dem Abendessen wenig appetitliche Details aus ihrem Alltag als Arzt, besteht bei der Tochter Joni auf flott zurückgeschickten Danksagungen für die Geburtstagswünsche und trinkt gerne mal ein Glas Rotwein zu viel. Hausfrau Jules hingegen kleidet sich unter der rot leuchtenden Mähne noch wie ein Teenie und pflegt nach mehreren Berufsanläufen wie Sohn Laser eine bürgerlich akzeptierte Unorthodoxie, die Nic nervt und zugleich anzieht. Eine ganz normale Familie mit ganz normalen bürgerlichen Zielen und Problemen also – nur dass sie in Lisa Cholodenkos „Dramödie“ von zwei „Moms“ gegründet und geführt wird. Annette Bening und Julianne Moore spielen diese sich köstlich an ihren kleinen Spleens aufreibenden Lesben. Sie leben, wie es ihnen gefällt, geraten vor dem Schlafengehen über Job- und Haushaltsfragen aneinander und lassen sich zum Versöhnungssex von einem Schwulen-Porno inspirieren – wegen der phallischen Direktheit, die in Lesben-Pornos angeblich fehlt.
„The Kids Are All Right“ beschäftigt sich nicht mit der Akzeptanz einer etwas anderen Lebensform. Hier, im Independent-Film mit Mainstream-Darstellerinnen, ist diese längst Realität; der Film jongliert sogar mit dem Klischee der Norm-Familie, die den Vater als konstitutiv für Erziehung und Glück postuliert. Tatsächlich „dringt“ der Erzeuger von Nics und Jules Kindern schon bald in die glückliche Kleinfamilie ein. Teenager Laser, vielleicht auf der Suche nach einem männlichen Vorbild, ist derjenige, der seine Schwester Joni anstupst, von ihrem mit dem 18. Geburtstag erworbenen Recht endlich Gebrauch zu machen, ihren gemeinsamen Vater ausfindig zu machen. Mit 19 Jahren spendete dieser sein Sperma, auf das beide „Moms“, erst Nic, dann Jules, für ihre Kinder zurückgriffen. Mittlerweile ist der Studienabbrecher und Freizeit-Slacker Paul ein Enddreißiger und baut Bio-Erzeugnisse für sein Restaurant an. Ein Bio-Bauer und Bio-Vater sozusagen, der von Ehe- und Familienproblemen unversehrt blieb und sich damit um so vieles cooler als Nic geben kann, womit er die beiden Teenager und bald auch Jules im Sturm für sich einnimmt.
Die ersten vorsichtigen Beschnüfflungsversuche, standesgemäß beim Dinieren, fallen verkrampft bis verfänglich aus, werden von Nic aber elegant mit einigen Gläsern Wein weggespült. Was sie nicht wegspülen kann, sind Pauls Penis und sein überaus gepflegtes Laissez-faire – für Jules lange vermisste Antithesen zur kontrollierten Nic, der sie mit Paul bald Hörner aufsetzt. Wie Moore und Bening ist auch Mark Ruffalo eine Idealbesetzung als in die Jahre gekommener Jugendlicher, ein charmant ruppiger Kuschelbär und Nerd-Sexsymbol, das den Wunsch entdeckt, seinen biologischen Vater-Status auch in einen familiären zu verwandeln. Die Wahl der Vernichtungswaffen ist weiblich: Der leise Humor spitzer Bemerkungen, pikiert und verschwörerisch ausgetauschte Blicke bei Tisch. Einen Tick zu durchdringend maskulin ist Pauls Leder- und Motoren-gestärkte Männlichkeit, mit der er Nics Familie fast schon penetriert. Plötzlich rückt das klassische Familienmodell aus dem Mainstream-Kino dem Indie-Familienmodell recht konservativ auf die Pelle.
Wer hier die Kinder sind und wer die Erwachsenen, das ist bei Cholodenkos multi-sexuellem Reigen nie ganz eindeutig. Klar ist, dass sich eine so erfrischend und lebensfroh erzählte Geschichte nicht der konservativen Normwelt ergeben darf. „The Kids Are All Right“ bietet mit frechem Soundtrack zwar narrativ und ästhetisch nichts wesentlich Neues und ist in seinem Independent-Gestus beinahe schon wieder klassisch, traut sich aber an Verhaltensparadoxien heran, die weniger logisch als vielmehr zutiefst menschlich sind. Hier werden Klischees genüsslich ausgepackt und gleich wieder in die Mottenkiste gesteckt. Der genaue Blick auf zwei Liebende, deren Ehe auf Abwegen ist, deckt all die Kompromisse und Vorbehalte auf, die sich über die Jahre eingeschlichen haben. Cholodenko seziert leichthändig peinliche Unsicherheiten, Reue und den Willen, Fehler wieder gerade zu biegen – und das gibt ihrem Film eine Herzenswärme und raue Schönheit, die vergleichbare, aus dem Kalkül geborene Dramen der Major Studios längst verloren haben. Genau das macht den Film so beschwingt und die schwerwiegenden Weisheiten über die sexuelle und emotionale Attraktion des Neuen in Konkurrenz zu langjährigen Beziehungen bekömmlicher, egal zwischen welchen Geschlechtern und egal gemäß welcher gesellschaftlichen Konvention. Hier wird die Frage, ob die biologische Vaterschaft die emotionale aufwiegen kann, richtig beantwortet – und dass Liebe angeblich durch den Magen geht, ist ohnehin ein Bonmot der klassischen Schule.