Das Verhältnis einer unkonventionellen, lebenslustigen Frau zu ihrer erwachsenen Tochter ist höchst angespannt, weil die junge Frau den unsteten Lebenswandel der Mutter ablehnt und sich nach Solidität sehnt. Als sie ihre Mutter sogar nicht bei ihrer Hochzeit dabei haben will, beschließt diese, sich zu ändern und respektabel zu werden: Sie tritt einen Job bei einer Immobilienfirma in Ostende an, deren gnadenlose Effizienzanforderung ihrer Lebensphilosophie diametral entgegengesetzt ist. Eine vorzüglich gespielte, ebenso unterhaltsame wie kluge Tragikomödie, die die differenzierte Ausleuchtung des Mutter-Tochter-Konflikts mit Seitenhieben auf die moderne Arbeitswelt verbindet. (O.m.d.U.)
- Ab 14.
Copacabana (2010)
Tragikomödie | Frankreich 2010 | 110 (24 B./sec.)/106 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Marc Fitoussi
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Filmdaten
- Originaltitel
- COPACABANA
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Avenue B/arte/Mars Film/C.R.R.A.V./Caviar
- Regie
- Marc Fitoussi
- Buch
- Marc Fitoussi
- Kamera
- Hélène Louvart
- Musik
- Tim Gane · Séan O'Hagan
- Schnitt
- Martine Giordano
- Darsteller
- Isabelle Huppert (Babou) · Aure Atika (Lydie) · Lolita Chammah (Esméralda) · Jurgen Delnaet (Bart) · Chantal Banlier (Irène)
- Länge
- 110 (24 B.
sec.)
106 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 28.06.2012
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Tragikomödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Babou ist weit herumgekommen, hat in verschiedensten Ländern gelebt. Ihre schrille Kleidung reflektiert eine kunterbunte Biografie, in der sich nur eins nicht findet: Stetigkeit. Weder bei einem Job noch an einem Ort noch bei einem Partner hat sie es lange ausgehalten. Für Babou ist das in Ordnung so. Sie scheint sich wohl in ihrer Haut zu fühlen, auch wenn die Konsequenz davon ist, dass ihr Leben recht chaotisch und ihr Bankkonto gerade wieder einmal leer ist. Babous erwachsene Tochter ist von der Mutter sichtlich genervt und gerade dabei, einen gegenteiligen Lebensweg einzuschlagen: Esméralda möchte heiraten, eine Familie gründen und sesshaft werden – und sie will, dass ihre unkonventionelle Mutter der Hochzeitsfeier fern bleibt, weil sie sich vor der Familie ihres Mannes für sie schämt. Babou, die sonst nichts allzu schwer nimmt, leidet daran und beschließt, sich zu ändern, respektabler zu werden, um die Tochter nicht ganz zu verlieren. Dafür braucht sie erst einmal einen festen Job. Sie bewirbt sich bei einer Immobilienfirma, und tatsächlich gelingt es ihr, eine Stelle beim Verkauf von Time-Sharing-Apartments zu ergattern. Der Job führt sie ins nasskalte Ostende an der belgischen Küste, wo nicht nur das Wetter sehr rau ist, sondern es auch die Bedingungen sind, mit denen Babou klarkommen muss.
Egoistische, infantile oder exzentrische Erwachsene, die im Lauf eines Films einen Läuterungsprozess durchmachen, um zu guten, zuverlässigen Familienmenschen zu werden, gehören zum festen Inventar von Hollywood-Komödien. Regisseur Marc Fitoussi spielt mit diesem Erzählmuster, nutzt es aber für eine sehr clevere Geschichte um Charaktere, die auf den ersten Blick wie altbekannte Komödientypen wirken mögen, dann aber auf vielschichtigere Weise ausgeleuchtet werden. Im Mittelpunkt steht die angespannte Mutter-Tochter-Beziehung (anrührend gespielt vom Mutter-Tochter-Gespann Isabelle Huppert und Lolita Chammah); dabei weitet sich der Film, wenn Babou in Ostende ankommt und ihre neue Stelle antritt, zur bissigen Dramödie über zeitgenössische Arbeitsverhältnisse: Aufgespießt wird vor allem der Missbrauch von Angestellten, die einen Job so dringend brauchen, dass sie alle möglichen Demütigungen und Zumutungen in Kauf nehmen und sich einem Konkurrenzdruck aussetzen, der kaum Platz für Menschlichkeit lässt.
Babou schafft es lange Zeit erstaunlich gut, in dem ihr wesensfremden Milieu aus aalglatten Anzügen und Business-Kostümen, Marketing-Phrasen und Effizienzanforderungen den Kopf über Wasser zu behalten. Das hat sie vor allem der Eigenschaft zu verdanken, die am charakteristischsten für sie ist: ihrer Kontaktfreude und ihrer Fähigkeit, mutig und unbefangen auf Leute und Situationen zuzugehen. Zwar verdirbt sie es sich mit ihrer lauten Art ziemlich schnell mit der Kollegin, mit der sie ein Apartment teilen muss und die charakterlich ihr genaues Gegenteil ist, doch dafür schließt sie beim ersten Abendessen in Ostende gleich die Bekanntschaft einiger Einheimischer. Diesem Umstand verdankt sie nicht nur einen neuen Liebhaber, sondern auch einen entscheidenden Tipp, der dazu führt, das Babou unter allen Neueinsteigern in ihrer Firma bald diejenige ist, die die meisten potenziellen Kunden anschleppt. Trotzdem gibt es auf mehreren Ebenen Ärger: Die Kollegen reagieren eifersüchtig auf Babous Erfolg; anstatt zur erhofften Versöhnung kommt es beim Besuch der Tochter zu neuerlichem Streit, und schließlich kann es auch nicht ausbleiben, dass Babous Lebensphilosophie mit der Unternehmensphilosophie ihrer Firma kollidiert.
Fitoussi zeichnet seine Figuren glaubwürdig; auch bei Nebenfiguren wie Babous neuen Kollegen verzichtet er auf Einseitigkeit. Im Clinch von Mutter und Tochter ergreift der Regisseur keine Partei; so sehr man von der schrägen, neugierig-lebensfrohen Babou angetan ist, machen sich doch auch bald die Schattenseiten ihrer Persönlichkeit bemerkbar, vor allem ihre Unfähigkeit, auf die emotionalen Bedürfnisse anderer einzugehen und sich auf zuverlässige Bindungen einzulassen, womit sie nicht nur manche Männer sehr verletzt. Esmé wiederum scheint mit ihrer Intoleranz für den eigenwilligen Lebensstil der Mutter zunächst allzu ungnädig und ein bisschen pedantisch und farblos, bis einem dämmert, was für einen emotionalen Preis sie wohl als Kind und Jugendliche dafür zahlen musste, diesen Lebensstil zu teilen. Auf tränenreiche Aussprachen und existenzielle Läuterungen verzichtet der Film: Aus ihrer Haut können Fitoussis Figuren alle nicht, aber anders als in der eiskalten Arbeitswelt, für die Menschen nur Posten in Bilanzen sind, regieren zumindest in den familiären Beziehungen immer noch Menschlichkeit und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. So gelingt Fitoussi das Kunststück eines Feel-Good-Movie, das besagten Wohlfühleffekt nicht mit verlogener Harmoniesucht bezahlt, sondern von Babous vorgelebter Courage lebt, sich von allen Gründen, die man zum Verzweifeln an sich selbst, an den anderen sowie an der Welt haben könnte, nicht unterkriegen zu lassen.
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