Wasser und Blut

- | USA 2009 | 87 Minuten

Regie: John G. Young

Nach dem Tod seiner Mutter muss ein 15-jähriger Afroamerikaner zu Verwandten nach Alabama ziehen. Unter der Oberfläche einer nur auf den ersten Blick intakten schwarzen Community gedeihen Rassismus, Gewalt und ein erhebliches Maß an Homophobie, die in der Person des homosexuellen Heranwachsenden eine Zielscheibe finden. Die diversen Erzählelemente aus Sozial-, Jugend- und Diskriminierungsdrama wirken mitunter etwas schablonenhaft; dank überzeugender Darsteller und einer souveränen Inszenierung mit viel Gespür für emotionale Zwischentöne entstand trotzdem ein eindrucksvoller, erschütternder Low-Budget-Film, der Missstände offen legt und anprangert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RIVERS WASH OVER ME
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
D Street Pic./Dasfatcap Films
Regie
John G. Young
Buch
Darien Sills-Evans · John G. Young
Kamera
Robert Ansbro
Musik
Kenneth Lampl
Schnitt
Stephen Thomas
Darsteller
Derrick L. Middleton (Sequan Greene) · Elizabeth Dennis (Lori Andersen) · Aidan Schultz-Meyer (Jake andersen) · Darien Sills-Evans (Sheriff King) · Sonequa Martin (Shawna King)
Länge
87 Minuten
Kinostart
02.09.2010
Fsk
ab 16 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Bildkraft (FF, DD2.0 engl.)
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Diskussion
Als Sequan nach dem Tod seiner Mutter von seiner Tante zu seinem neuen Zuhause gefahren wird, blickt er durch das Autofenster auf eine typisch amerikanische Vorstadtsiedlung mit gepflegten Verandahäuschen und sorgsam vertikutierten Rasenflächen. Das sei aber eine schöne Gegend, bemerkt er höflich. Vielsagend verdreht die Tante die Augen, und, weil akkurat gestaltete US-Vorstädte im Kino gemeinhin als spießig gelten, könnte man denken, Sequan – immerhin ein afroamerikanischer Jugendlicher aus New York – habe sein Lob ironisch gemeint. Aber dann geht die Fahrt weiter. Die Gärten verwildern zusehends, ein zotteliger Hund springt über das Gras, Gestrüpp und Brachland ziehen am Fenster vorüber, ehe das Auto in einer Trailerparksiedlung anhält; Sequans neuem Zuhause. Diese Eingangssequenz verdeutlicht in wenigen Bildern Sequans sozialen Abstieg und seine Enttäuschung. Regisseur John G. Young inszeniert sie kurz genug, um nicht allzu sehr ins Plakative abzurutschen. Auf den ersten Blick hat sich auch Sequans Tante mit ihren beiden Kindern recht komfortabel eingerichtet. Doch schnell kommt alles viel schlimmer. Sequan ist schwul, schmächtig, er liebt Bücher und trägt eine Brille; das ideale Opfer für die Kleinstadt-Ghettokids in der High School. In der Schule wird er verprügelt und zu Hause von seinem Cousin Michael, mit dem er das Zimmer teilt, vergewaltigt. Auch Michael ist schwul. Anders als Sequan steht er aber nicht dazu, sondern spielt mit den coolen Jungs Basketball. Ahmed, der coolste von ihnen, ist mit Lori zusammen, einem weißen, koksenden Mädchen aus gutem Hause, das aus allen „anständigen“ Schulen geflogen ist. Ganz anders als ihr scheinbar braver Bruder, der, wie sich später herausstellt, auch schwul ist. Eine ganze Menge Klischees und reichlich Drama für den Anfang. Erstaunlicherweise aber gelingt es Young, die Versatzstücke aus Sozial-, Jugend-, Schwulen-, und Rassendrama so miteinander zu verbinden, dass unterm Strich ein glaubwürdiger Gesamteindruck entsteht. Das liegt weniger an der um einen dokumentarischen Eindruck bemühten Handkamera, wie man sie aus thematisch verwandten Filmen wie „Kids“ (fd 31 598) kennt, als daran, dass die zu einem großen Teil unbekannten Nachwuchsschauspieler ihre Figuren als vielschichtige Persönlichkeiten zu interpretieren versuchen und ihnen das, abgesehen von einigen etwas ungelenk und gestelzt wirkenden Szenen, überzeugend gelingt. Entscheidend aber ist, dass das Drehbuch und vor allem Youngs Inszenierung ihnen den Raum dafür geben. Es sind oft nur kurze Momente, in denen die Kamera länger als üblich auf einem Gesicht verweilt, die ein dualistisches Moralschema durchbrechen. Einige wenige, aber wesentliche Sekunden, weil sie erahnen lassen, wie verloren sich auch der Täter Michael fühlt; weil sie die Fassade des gefühlskalten und nur scheinbar selbstherrlichen Cliquenführers Ahmed durchbrechen. „Ich habe langsam genug von deiner Scheiße“, sagt Lori einmal zu ihm, woraufhin er sie im Gangsta-Sprech anblafft: „Willst du sterben, Schlampe?“ Aber zwischen dem Satz von Lori und der Reaktion Ahmeds verstreichen einige Augenblicke, in denen Ahmeds Blick unsicher umherschweift. Hat das jemand gehört? Eine scheinbar beiläufige Einstellung, die aber entlarvt, wie sehr Ahmeds Selbstwertgefühl von dem Bild abhängt, das andere sich von ihm machen. Mit diesem beinahe poetischen Innehalten, das den harten, sozialrealistischen Rhythmus immer wieder ergänzt, unterscheidet sich „Wasser und Blut“ von der provokativ naturalistischen Erzählweise, mit der etwa Larry Clark in „Kids“ zu Werke ging. Weil er hinter die Oberfläche schaut, muss er nicht gnadenlos darauf verharren. Auch „Wasser und Blut“ ist ein schockierender Film, aber weitgehend ohne Schockbilder. Ähnlich wie es Young gelingt, die vielen schwierigen Themen, die sein Film anspricht, unter einen Hut zu bekommen, hält er auch die Fäden der zahlreichen Handlungsstränge meist sicher in den Händen. Lori freundet sich mit Sequan an, und Sequans Onkel, der Polizeichef der Stadt, ermittelt in der Schule auf der Suche nach einem vermissten Jungen; gegen den Widerstand von Schuldirektor und Bürgermeister. Der Film endet in einem dramatischen Showdown, der eigentlich ein wenig dick aufträgt, aber doch nicht pathetisch gerät. Young hat sich mit „Wasser und Blut“ viel vorgenommen, viel abgeguckt. Manches wirkt schablonenhaft, vorhersehbar, am Ende aber beweist er ein wunderbares Gespür für Timing und emotionale Zwischentöne.
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