Es ist kein Zufall, dass der Schauplatz von „Du sollst nicht lieben“ über eine schwule Liebe im ultraorthodoxen Judentum ausgerechnet eine Fleischerei ist. Aaron Fleischmann, Ehemann, Familienvater, angesehenes Mitglied der ultraorthodoxen Gemeinde Jerusalems und Schlachter, wirkt von Beginn an freudlos und versteinert, ähnlich leblos wie die Tierleiber, die er täglich mit einem Beil zu groben Fleischstücken zerteilt. Bald gewinnt das Fleischliche aber eine ganz andere, nämlich sexuelle Bedeutung: Als er den jungen Studenten Ezri als Aushilfe einstellt, entwickelt sich zwischen den beiden Männern ein leidenschaftliches Verhältnis. Von unreinem Fleisch spricht der Rabbi, um Aarons verbotenes Begehren zu beschreiben, das ausgerechnet im Kühlraum der Schlachterei zum Ausbruch kommt. Diese symbolischen Aufladungen sind vielleicht etwas durchsichtig, werden in Haim Tabakmans Spielfilmdebüt aber unaufdringlich und distanziert in Szene gesetzt. Mit einem präzisen Blick für die Strukturen und Mechanismen der orthodoxen Gemeinschaft zeigt der Film, was diese Liebe mit Aaron macht, wie sie sein Verhältnis zur Familie und Gemeinde, zu Gott und nicht zuletzt zu sich selbst verändert.
Aarons Leben ist nach einem strengen Regelwerk organisiert. Nicht nur die Gebete und religiösen Zeremonien folgen einer festen Ordnung, auch das Essen und die Kleidung – ein Übereinanderschichten verschiedener Stofflagen – unterliegen unverrückbaren Vorgaben. Selbst der Sex mit Rivka, seiner Frau, gleicht einem ritualisierten Vorgang: ein Blick, eine Berührung, das Öffnen der Schlafzimmertür, dann das wortlose Zusammenschieben der getrennten Betten, in die sich beide angezogen legen, bevor sie sich unter der Decke ihrer Kleider entledigen. „Ein Diener Gottes ist, wer die Mühe liebt“, sagt Aaron einmal, und nach diesem Grundsatz scheint sein gesamtes Leben ausgerichtet – es strahlt etwas Tonnenschweres aus. Anders dagegen Ezri: Er ist ungebunden, selbstbewusst im Umgang mit seiner Sexualität, eher von seiner Suche nach Ordnung belastet als von den Geboten und Verboten der Religion.
Ein einfaches sinnliches Erlebnis, ein beiläufiger intimer Moment mit Ezri wird für Aaron zur aufwühlenden Erfahrung und löst für ihn eine Art „Wiedergeburt“ aus: das gemeinsame Bad in einer entlegenen Quelle. Als Ezri ins kalte Wasser eintaucht, scheint ihm erstmals bewusst zu werden, dass er überhaupt einen Körper hat – und ein erotisches Begehren jenseits ehelicher Pflichten. Anfangs begreift Aaron die Überwindung seiner Lust noch als eine religiöse Herausforderung, als eine Prüfung, die seine Seele läutern und ihn letztendlich näher zu Gott bringen soll. Erst als er sich offen eingesteht, dass er sich durch Ezri lebendig fühlt, gibt er sich seiner Leidenschaft hin. Haim Tabakman berührt hier ein Tabu – schließlich ist Homosexualität im ultraorthodoxen Judentum schlichtweg nicht existent. Eine radikale Gruppe innerhalb der Gemeinde setzt dann auch massive Druckmittel gegen dieses Verhältnis ein: Plakate hängen im Viertel, die vor einem „Sünder in der Nachbarschaft“ warnen, ein Stein fliegt durch die Scheibe der Metzgerei, junge Thorastudenten kommen in den Laden und attackieren Aaron. Gespiegelt wird das verbotene Verhältnis zwischen den Männern durch ein anderes Paar, einen Mann und eine junge Frau, die von ihren Eltern bereits einem anderen versprochen wurde. Ausgerechnet Aaron erklärt nun dem Liebhaber, dass er die Frau nicht mehr treffen dürfe, und führt ihm das Schreckensszenario der Sittenwächter vor Augen, wenn er sich nicht daran hält. Diese Parallelgeschichte wirkt ein Stück weit konstruierter und wäre eigentlich gar nicht notwendig gewesen, um die Unvereinbarkeit von Gefühlen und religiösen Geboten begreifbar zu machen. Denn die Stärke des Films liegt ja gerade darin, dass er seine Figuren nicht funktionalisiert, wie es bei manchem Thesenfilm der Fall ist. Tabakman lässt eine dichte, mitunter bedrückend enge Atmosphäre einer Gesellschaft entstehen, in der kein direkter, unverstellter Ausdruck für Gefühle oder Lust vorgesehen ist. Umso wichtiger sind die flüchtigen Blicke und kleinen Gesten, die inoffiziellen „Texte“. Etwa wenn Ezri Aaron seine Zeichnungen junger Männer zeigt, die ganz subtil von schwulem Begehren erzählen. Oder wenn Aaron und Ezri in der Runde mit anderen Männern singen und beten und dabei jeder den Arm um den anderen legt. In diesem Moment verbirgt das gemeinschaftlich-religiöse Ritual eine andere, geheime Botschaft.