Die verschlossene Concierge eines Pariser Mietshauses pflegt heimlich eine empfindsame Neigung zur Literatur. Die Bekanntschaft mit einem japanischen Witwer und einem Mädchen führt zur allmählichen Annäherung dreier Außenseiter. Darüber verwandelt sich der Film vom entschleunigten Drama der Isolation zur sympathischen Komödie menschlicher Unzulänglichkeiten. Subtil-humorvoll erzählt, mit hintergründigen Dialogen und guten Schauspielern, überzeugt das zart-vergnügliche Kinodebüt durch seinen von Toleranz und Mitgefühl geprägten Blick auf einen menschlichen Mikrokosmos.
- Ab 14.
Die Eleganz der Madame Michel
Komödie | Frankreich/Italien 2009 | 100 Minuten
Regie: Mona Achache
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Filmdaten
- Originaltitel
- LE HÉRISSON | IL RICCIO
- Produktionsland
- Frankreich/Italien
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Les Films des Tournelles/Eagle Pic./France 2 Cinéma/Pathé/Topaze Bleue
- Regie
- Mona Achache
- Buch
- Mona Achache
- Kamera
- Patrick Blossier
- Musik
- Gabriel Yared
- Schnitt
- Julia Grégory
- Darsteller
- Josiane Balasko (Renée Michel) · Garance Le Guillermic (Paloma Josse) · Togo Igawa (Kakuro Ozu) · Anne Brochet (Solange Josse) · Ariane Ascaride (Manuela Lopez)
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- 06.05.2010
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Die Extras umfassen u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar der Regisseurin und der Produzentin Anne-Dominique Toussaint, ein ausführliches "Making Of" (30 Min.) sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (8 Min.).
Diskussion
Schon Balzac und Eugène Sue sprangen in ihren Romanen mit der Figur der weiblichen Concièrge wenig schmeichelhaft um, beschrieben sie als hässliches altes Weib, geschwätzig und neugierig, eine Unperson, der man zwar die Post, Reparaturen und die Müllbeseitigung überlässt, aber ansonsten besser aus dem Weg geht. In Pariser Wohnhäusern war die männliche Variante schon damals nur selten anzutreffen, weswegen sich das Gespenst der lästigen Torhüterin, die wie eine Aufseherin in ihrer Loge residiert, bis heute durch sämtliche Kunstgattungen zieht. Auch wenn es sich bei der Spezies inzwischen um einen aussterbenden Berufszweig handelt, hält sich der Mythos im kulturellen Gedächtnis der Franzosen hartnäckig am Leben. In der Verfilmung des französischen Bestsellers „Die Eleganz des Igels“ von Muriel Barbery greift Josiane Balasko für ihre Darstellung der Madame Michel gleich auf ein ganzes Arsenal lieb gewonnener Klischees zurück. Ungepflegt im Erscheinungsbild, hält sie sich als Archetyp der Hausmeisterin das Rauschen der Welt mit einer mürrisch erstarrten Miene vom rundlichen Leib, nur um hinter der abweisenden Fassade ihre Liebe zu Katzen, Zartbitterschokolade und der Weltliteratur zu kultivieren.
Die Mehrheit der gut betuchten Bewohner fällt auf die Strategie der Einigelung herein, bis auf die elfjährige Paloma, die von ihrer bourgeoisen Familie kaum beachtet wird. Das hochintelligente Mädchen durchschaut das Manöver nicht zuletzt deshalb, weil es das Studieren launenhafter Frauen gewohnt ist: Paloma ist mit einer neurotischen, der Psychoanalyse verfallenen Mutter geplagt und mit einer Schwester, mit der sie sich einen Kleinkrieg liefert. Bevor sie ihrem Leid in 165 Tagen mit einem sorgfältig geplanten Selbstmord ein Ende bereiten möchte, filmt sie munter ihre Umgebung aus den ungewöhnlichsten Kameraperspektiven. Zu den Objekten ihrer cineastischen Experimente gehört auch Madame Michel. Dank kleiner Gesten entpuppt diese sich als verwandte Seele, in deren Gesellschaft die eigene innere Isolation in weite Ferne rückt. Der Dritte im Bunde verschrobener Charaktere ist ein Japaner mit dem viel versprechenden Namen Kakuro Ozu. Der kultivierte Witwer gesellt sich als neuer Mieter dazu und imponiert der Concièrge auf Anhieb, als er hinter dem Namen ihres Katers Leo sogleich Tolstoi wittert. Dass er jeder Gegenwehr mit einem passenden Zitat aus „Anna Karenina“ begegnet, macht ihn nicht nur zu einer willkommenen Abwechslung im grauen Alltag wiederkehrender Flurrituale. Dermaßen beharrlich umworben und von Paloma mit kindlichem Charme verzaubert, legt sich Madame Michel eine neue Frisur samt eleganter Garderobe zu und gibt zaghaft der aufblühenden Liebe nach.
Natürlich ist diese Geschichte einer späten Metamorphose und einer dreifachen Freundschaft pures Märchenkino. Aber immer dann, wenn es zu haken scheint, kommt ein dramaturgischer Kniff ins Spiel oder entschlüpft eine gut abgehangene Lebensweisheit Balaskos verkniffenen Lippen, weshalb der Erziehung der Gefühle nichts mehr im Wege steht. Dass man dieses zart-vergnügliche Kinodebüt trotz des Fehlens künstlerischer Ambitionen sogleich annimmt, liegt auch an den hintergründigen Dialogen und der subtil humorvollen Erzählweise, mit der sich Regisseurin Mona Achache dem Universum Treppenhaus nähert. Im angenehm entschleunigten Tempo steigert sie ihr Drama der Lieblosigkeit zur Komödie menschlicher Unzulänglichkeiten, plädiert für ein humanes Miteinander und lässt ihre angeschlagenen Helden nach bestandenem Aufwärmprogramm auf der Gewinnerseite zurück.
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