Der erste Auftritt ist prägnant: Bad steuert seinen Pick-up auf den großen Parkplatz einer Bowlingbahn, entsteigt reichlich zerknittert, grummelt mit Fluppe im Mundwinkel Unverständliches vor sich hin und leert einen Wasserkanister voller Urin neben dem Wagen aus. Der Schauplatz und Jeff Bridges ungepflegtes Äußeres rufen sofort Assoziationen an „The Big Lebowski“
(fd 33 061) wach – doch von seiner gänzlich untragischen Figur des „Dude“ hat Jeff Bridges trotz der äußeren Parallelen hier gar nicht so viel. Eher schon erinnert dieser Bad Blake an den „Wrestler“ Randy, mit dem Mickey Rourke eine der besten Leistungen seiner Karriere gelang
(fd 39 162). Es ist jedoch nicht so sehr die schauspielerische Brillanz in der Hauptrolle, die „The Wrestler“ und „Crazy Heart“ verbindet, es ist die Tragödie eines abgehalfterten, körperlich wie psychisch kaputten B-Promis, von der beide Filme erzählen.
Bad Blake ist ein Countrysänger, der seine besten Zeiten schon lange hinter sich hat – Ende 50 ist er und dem Alkohol verfallen, seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit umnebelten Auftritten in kläglichen Bierschwemmen und traurigen Bowlinghallen, bei denen er seine uralten Nummer-Eins-Hits zum Besten gibt. Immerhin, eine Handvoll Fans hat Bad noch, und sogar das ein oder andere gealterte Groupie gibt es, neben dem Bad morgens mit schwerem Schädel aufwacht. Dann heißt es wieder zurück auf Amerikas endlose Straßen, wenn Bad auf dem Weg zum nächsten schlecht bezahlten Gig erneut das halbe Land irgendwo zwischen Houston, Santa Fe und Phoenix durchqueren muss. Ein dramaturgisch geschickter Schachzug, um das Genre der Country-Musik so auch unmittelbar in den Bildern zu verankern, stimmungsvollen oder auch tristen Aufnahmen der ewigen amerikanischen Weite. In Santa Fe lernt Bad, der schon eine Handvoll Ehen hinter sich hat, die viel jüngere Jean kennen, allein erziehende Mutter eines kleinen Jungen und angehende Musikjournalistin. Sie interviewt ihn, man ist sich sympathisch, kippt ein paar Whisky und landet zusammen im Bett. Dass das mit Jean aber doch sehr viel mehr ist als der übliche kleine Abstauber, merkt Bad ziemlich schnell. Und auch, dass es gar nicht so leicht ist, die Beziehung auch zu leben. Schwierig genug ist die geographische Distanz zwischen Santa Fe und Houston, wo Bad lebt, noch schwieriger aber lässt sich die Alkoholsucht mit der neuen Rolle als Ersatzvater vereinbaren. Als er Jeans Sohn Buddy während eines Stadtbummels aus den Augen verliert, weil er sich gerade einen Drink genehmigt, nimmt das Drama seinen Lauf: Zwar taucht Buddy nach ein paar Stunden wieder auf, Jean aber zieht die Konsequenzen und verlässt Bad. Der begreift, dass er endlich etwas ändern muss in seinem Leben. In ihrem letzten Drittel gerät die Tragikomödie „Crazy Heart“ ein bisschen zu moralisch und auch zu glatt darin, wie sie ihre Geschichte einer Läuterung erzählt. Wirklich ins Gewicht aber fällt das nicht, denn dem Regiedebütant Scott Cooper gelingt es bis dahin mit erstaunlicher Meisterschaft, die Balance zwischen Tragödie und kantigem Humor, zwischen düsteren und sehr leichten Momenten zu halten. „Crazy Heart“ ist das Porträt eines Niedergangs, einer Alkoholsucht, eines Losers, aber es ist auch ein Film voller trockenen Witzes, warmherzig beobachteter Skurrilitäten. Und es ist eine anrührende Liebesgeschichte, die trotz des großen Altersunterschieds ihrer Protagonisten überzeugt: Jeff Bridges und Maggie Gyllenhaal gelingt es, die große gegenseitige Anziehung und seelische Verbundenheit zwischen Bad und Jean spürbar zu machen. Überhaupt ist „Crazy Heart“ ein Film der Schauspieler, das zeigen Gyllenhaal, Robert Duvall als Bads alter Kumpel Wayne oder Colin Farrell als erfolgreicher Jung-Country-Star Tommy Sweet – vor allem aber demonstriert das der begnadete Hauptdarsteller selbst: Man muss gesehen haben, wie Jeff Bridges mit zotteligen Haaren, Schweißflecken unter den Armen und hängendem Hosengürtel durch den Film schlurft, wie er in einer schäbigen Absteige im Alkoholnebel vor sich hin dämmert, wie er mitten in einem Konzertauftritt hinter die Bühne wankt, um in eine Mülltonne zu kotzen – und wie er es dennoch schafft, dieser Figur ihren Charme, ihren Humor und ihre Tiefe zu lassen, dass man diesen Bad gut leiden und sogar glauben kann, dass sich die junge Jean in ihn verliebt.
Natürlich gehören die Momente, in denen Bad Gitarre spielt und singt, zu seinen charismatischsten Auftritten: Denn vor allem anderen ist „Crazy Heart“ ja ein Musikfilm, der mit seinen schmelzenden Melodien und rauen Songtexten die erdverbundene Kraft des Country feiert. „Where do all the songs come from?“, fragt Jean Bad einmal. „Life, unfortunately“, antwortet er da. Und tatsächlich fügen sich die Songs mit Zeilen wie „You never see it coming till it’s gone“ sehr stimmig zu dem verlustreichen Leben, wie es Bads Auftreten und Verhalten erahnen lassen. Der durch seine Mitarbeit an Filmen wie „Oh Brother, Where Art Thou?“ und „Walk the Line“ diesbezüglich erfahrene T Bone Burnett und der mittlerweile verstorbene Stephen Bruton haben Bad Blake mit Songs wie „The Weary Kind“ oder „Fallin’ & Flyin’“ wunderbar schmerzlich-schöne Balladen auf den Leib geschrieben, die das Zeug zu Ohrwürmern haben. Dass Jeff Bridges die Songs selbst interpretiert, macht sie umso authentischer – und erhöht in nicht unbeträchtlichem Maß die Bewunderung, die man dem Schauspieler für diese zu Recht bereits „Golden-Globe“-prämierte und „Oscar“-nomierte Darstellerleistung entgegenbringen muss.