Das Konzept ihres Dokumentarfilms "Cycling the Frame" (1988) aufgreifend, begleitet die Filmemacherin die Schauspielerin Tilda Swinton bei einer Fahrt mit dem Fahrrad entlang der Linie, wo einst die Berliner Mauer stand. Die Erkundung der inzwischen an vielen Stellen unsichtbaren "Naht" zwischen Ost und West begleitet Tilda Swinton mit Zitaten und Reflexionen, wobei sie unprätentiös und ohne Betroffenheitskitsch über den Topos der Grenze sinniert. Auch als eigenständiges Werk überzeugend, gewinnt die vielsagende Standortbestimmung zur Bedeutung des Mauerfalls sowie zum Umgang damit gerade in Korrespondenz mit dem älteren "Original" eine besondere Qualität.
- Sehenswert ab 14.
The Invisible Frame
- | Deutschland 2009 | 60 Minuten
Regie: Cynthia Beatt
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE INVISIBLE FRAME
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Filmgalerie 451/ZDF-3sat
- Regie
- Cynthia Beatt
- Buch
- Cynthia Beatt
- Kamera
- Ute Freund
- Musik
- Simon Fisher-Turner
- Schnitt
- Dörte Völz-Mammarella
- Darsteller
- Tilda Swinton
- Länge
- 60 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
„Oh wall, oh wall, oh pretty wall, it would be funny if you did fall“, murmelte Tilda Swinton in „Cycling the frame“, einem kleinen, knapp halbstündigen Film, den die Schauspielerin 1988 unter der Regie von Cynthia Beatt drehte. Tilda Swinton fuhr damals mit dem Fahrrad an der Berliner Mauer entlang, schaute, staunte und führte leise Selbstgespräche. Der Film ist von einer sonderbar schroffen Schönheit und zudem ein ungewöhnliches historisches Dokument. Selten hat man den Schnitt durch die Stadt so bewusst „durchlebt“. 21 Jahre später, im Sommer 2009, drehte die britische Filmemacherin mit Tilda Swinton eine Art Fortsetzung, ein Remake unter veränderten Vorzeichen. „The Invisible Frame“ ist eine Fahrradtour an der ehemaligen Grenzlinie entlang, und das Schöne daran ist, dass alles wie „live“ passiert.
Anfangs sagt Tilda Swinton, sie wolle nur schauen und hören, und viel mehr tut sie tatsächlich nicht. Auf diese Weise sieht man die Stadt wie zum ersten Mal, mit dem Blick auf die Phantome der Geschichte. Hin und wieder begegnen ihr Mauerfragmente, wie Ruinen aus einer Vergangenheit, die inzwischen sehr weit zurückzuliegen scheint – Tilda Swinton spricht hier von „archäologischen Überresten“. Doch überwiegend ist die Geschichte wie verschluckt, die Grenzlinie ist zugewachsen oder verbaut. Die Protagonistin wundert sich, mit welcher Beharrlichkeit die Präsenz der Mauer verdrängt wurde, ebenso wie ihre Abwesenheit jetzt verdeckt und ignoriert wird. „Where is the wall?“, fragt sie und sucht nach Spuren, die etwas erzählen können über die Naht zwischen Damals und Jetzt. Manchmal verliert sie die Orientierung und weiß nicht mehr, ob sie nun im Osten oder im Westen unterwegs ist. Sie studiert Gedenktafeln, legt sich ins Gras und zitiert Gedichte von Anna Akhmatowa, einer russischen Dichterin, und von William Butler Yeats. Oder sie geht auf Wachtürme, die den Blick auf eine idyllische Landschaft eröffnen – genau da, wo zuvor die Grenzkontrollen an der Mauer stationiert waren.
Natürlich wird „The Invisible Frame“ ganz entscheidend von Tilda Swinton getragen, von ihrer unglaublichen Präsenz, ihrem Humor, ihrer außergewöhnlichen Wachheit und Offenheit. Das historische Gewicht der Mauer wiegt schwer, und Tilda Swinton sieht sich nicht zuletzt an die politische Situation im Nahen Osten erinnert. Dennoch gelingt es ihr, völlig unprätentiös über den Topos der Grenze zu sprechen, fast mit einer gewissen Leichtigkeit und ohne jeden Betroffenheitskitsch. „Cycling the Frame“ und „The Invisible Frame“ funktionieren als autonome Filme, doch im Zusammenspiel setzen sie ein Gespräch in Gang, das mehr erzählt als jede Dokumentation, die zum 20. Jahrestag des Mauerfalls zu sehen war. Wenn Tilda Swinton mit ihrem Fahrrad auf dem Todesstreifen fährt oder in eine Fabrik geht, der sie sich zuvor nur mit dem Blick über die Mauer nähern konnte, entfaltet „The Invisible Frame“ eine fast gespenstische Qualität. Für einen Moment spürt man da die Gleichzeitigkeit von Geschichte und Gegenwart.
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