Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2009 | 95 Minuten

Regie: Eduard Erne

Dokumentarfilm über ehemalige "Napola"-Zöglinge, die während des Nationalsozialismus als zukünftige Elite ausgebildet werden sollten. Neben Prominenten wie Hellmuth Karasek und Theo Sommer, die ihre Erinnerungen an die Schulzeit aufleben lassen, fokussiert der Film auf das Schicksal zweier Familien, deren Väter "Napola"-Zöglinge waren. Spannend und aufschlussreich in den einzelnen Interviews, stört die Einbindung der Materialien in eine filmische Struktur, die über die Tonebene sowie die Montage von Archivbildern allzu forciert die "Geisterhaftigkeit" des NS-Erbes vermitteln will und dabei eher irritiert als glaubwürdig erscheint. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
neue pegasos filmproduktion/Extrafilm/ZDF-arte
Regie
Eduard Erne · Christian Schneider
Buch
Eduard Erne · Christian Schneider
Kamera
Harald Schmuck
Musik
Peter Kaizar
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Sie wären darauf getrimmt worden, sich später einmal als „Herrenmenschen“ zu fühlen, als Elite. Der Alltag in den „Napola“-Schulen, den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten des NS-Regimes, sah allerdings ganz anders aus, verlangte er den Schülern doch die totale Unterordnung ab: eine Sklavenexistenz. So ähnlich äußert sich der Literaturkritiker Hellmuth Karasek, einer der prominenten „Napola“-Schüler, die in dieser Dokumentation zu Wort kommen. An anderer Stelle erzählt er, wie er zunächst Woche für Woche nach Hause geschrieben habe, dass er von der Schule genommen werden möchte, dann aber beschloss, doch zu bleiben und den Schliff auszuhalten. Er vergleicht das aus heutiger Sicht mit dem Stockholm-Syndrom, jenem psychologischen Schutzmechanismus, der Opfern von Haft oder Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Peinigern entwickeln lässt. Ein anderer ehemaliger „Napola“-Zögling spricht davon, dass es Masochismus war, was den Kindern bei der Erziehung an den Eliteschulen eingebläut worden sei: der Wille, ständig die eigenen physischen und psychischen Grenzen zu überschreiten. Etwa 40 solcher Kaderschmieden des Dritten Reichs gab es bis 1945 in Nazi-Deutschland und den ihm einverleibten Gebieten; etwa 15.000 Schüler wurden dort ausgebildet, von den Jahrgängen, die alt genug waren, in den letzten Kriegswochen als Soldaten den paramilitärischen Drill der Schulen in die Praxis umzusetzen, kam etwa die Hälfte ums Leben. Auf solche Sachinformationen verzichtet die Dokumentation; sie werden im Presseheft bzw. im Info-Flyer nachgeliefert. Der Film selbst konzentriert sich ganz aufs subjektive Erinnern seiner Protagonisten und darauf, welches Erbe die Erziehung jenen hinterlassen hat, die das Kriegsende und den Bankrott der ihnen so schmerzhaft eingetrichterten Ideale überlebten. Neben Karasek berichtet auch der Dirigent Joachim Carlos Martini von der Schulzeit, die der zunächst in Chile aufgewachsene Junge als qualvolle Folge von Schikanen wahrnahm, im Gegensatz offensichtlich zum ehemaligen „ZEIT“-Herausgeber Theo Sommer, der den Erziehungsprinzipien der Anstalten durchaus auch positive Seiten abgewinnt und für sich in Anspruch nimmt, dort auch „Wahrhaftigkeit“ und „Lauterkeit“ gelernt zu haben. Aus solchen zum Teil höchst widersprüchlichen Aussagen, manche davon wiedergegeben, während der von der Kamera begleiteten Rückkehr an die ehemaligen Erziehungsanstalten, formt sich ein spannungsvolles Mosaik. Darüber hinaus stehen zwei nicht prominente Ex-“Napola“-Schüler im Blickpunkt: Da geht es einmal um eine Tochter, die zusammen mit ihren beiden Söhnen der NS-Kindheit ihres Vaters nachspürt, der 20 Jahre zuvor zusammen mit seiner Frau Selbstmord beging; und es geht um einen mittlerweile 80-jährigen Familienvater, um seine Frau, seine Tochter, seinen Sohn und die Enkelin, die über die Spuren nachdenken, die die „Napola“-Erziehung des Patriarchen in ihrer Familie hinterlassen hat. Zwar seien pädagogischen Mottos wie „Mehr sein als scheinen“ ja durchaus nicht verkehrt, selbst wenn sie aus „Napola“-Tagen stammen, doch auf der anderen Seite bewirkte die strenge, ganz aufs Aufgehen im Kollektiv ausgerichteten Erziehung auch die Unfähigkeit, die Souveränität einer anderen Person zu respektieren, sowie ein genereller Mangel an Empathie. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass die von der Erzählstruktur suggerierte direkte Kausalkette zwischen Doppelselbstmord bzw. emotionalen Problemen und „Napola“-Erziehung die Komplexität zweier Menschenleben wohl simplifiziert: Für sich genommen sind diese Familienporträts durchaus beklemmende Beispiele deutscher Biografien. Doch so interessant diese und die einzelnen Aussagen der interviewten Prominenten auch sind: Die Dokumentation verbindet ihre Einzelelemente zu einem Ganzen, das weniger ist als die Summe seiner Teile, weil allzu offensichtlicher Kunstwille in der Umsetzung von der Kraft des Materials eher ablenkt anstatt sie auszustellen. Das hängt zum einen mit einer enervierenden Tonspur zusammen, die von der ersten Sequenz an penetrant und überdeutlich das laut Info-Flyer im Film analysierte „heimliche Fortwirken des Unheimlichen“ heraufbeschwört – mit verlorenen Kinderstimmen, die wie ein giftiges Echo aus alten Tagen „Napola“-Lieder intonieren, und geisterhaft-schwebenden Klängen. Auf visueller Ebene wird per Bild-im-Bild-Montagen in eine ähnliche Kerbe geschlagen, wenn schwarz-weißes Archivmaterial aus diversen „Napolas“, von Jugendaufmärschen und Ähnlichem in die Gegenwart hineingeschnitten wird oder wie ein Geisterbild über den stumpfen Spiegel im ehemaligen Waschraum eines alten „Napola“-Gebäudes flimmert. Eine solche Lenkung der Wahrnehmung wirkt in ihrer Forciertheit eher irritierend und ärgerlich, als dass sie zur Glaubwürdigkeit des Gezeigten beitragen würde.
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