Ein verschrobener Bankangestellter, der sich aus Angst vor möglichen Enttäuschungen ganz in sich, seine Marotten und Extravaganzen zurückgezogen hat, begegnet einer jungen blinden Cellistin, die ihn in ihrem strahlenden Lebensmut aus der Bahn wirft. Charmante, von zwei überzeugenden Hauptdarstellern getragene Komödie, die die trivialen Fallstricke des populären Sujets weitgehend umschifft. Stille Momente, in denen die Protagonisten ihre Einsamkeit und ihre Suche nach Identität und Lebenssinn offen legen, verleihen der amüsanten Liebesgeschichte Substanz und Glaubwürdigkeit.
- Ab 14.
Ganz nah bei dir
Komödie | Deutschland 2009 | 91 Minuten
Regie: Almut Getto
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Riva Filmprod./MDR
- Regie
- Almut Getto
- Buch
- Hendrik Hölzemann · Speedy Deftereos · Almut Getto
- Kamera
- Michael Wiesweg
- Musik
- Jakob Ilja
- Schnitt
- Sebastian Thümler
- Darsteller
- Katharina Schüttler (Lina) · Bastian Trost (Philip) · Andreas Patton (Philips Therapeut) · Katja Danowski (Zarah) · Stephan Grossmann (Dr. Bachmann)
- Länge
- 91 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Wie sein einziger wahrer „Freund“, die Schildkröte Paul, lebt auch der kurios verschrobene Phillip wie unter einem dicken Panzer, der ihn vor den seelischen Gefahren des Alltags, vor möglichen Verletzungen und Enttäuschungen schützen soll. Da fällt es ihm selbstredend schwer, auch nur annähernd auf „Betriebstemperatur“ zu kommen – das übernimmt für den introvertierten, ordnungsfanatischen Bankangestellten, der tagein, tagaus Falschgeld zu prüfen hat, seine faltenfrei übers Bett gelegte Wärmedecke: noch so ein Schutzpanzer. „Im Panzer ist es ganz still“, philosophiert Phillip vertraulich aus dem Off, „wissen Sie, der Ärger fängt doch immer erst an, wenn man den Kopf ’raus steckt.“
Ständig auf dem schmalen Grat zwischen Lebensangst und Lebensuntauglichkeit jonglierend, droht Phillip zum zynisch-misanthropischen Eigenbrötler zu werden, der nur noch zaghaft seine stille Liebe zu Pantomime und Stummfilm pflegt und seinen Traum vom allseits beliebten Stand-Up-Comedian längst aufgegeben hat. Dass so ein miesepetriger Außenseiter ausgerechnet auf eine lebensfrohe blinde Frau trifft, eine begabte junge Cellistin, die offensiv und mutig mit ihrer Behinderung umgeht, das mag Schicksal oder Bestimmung sein, ist aber in jedem Fall der Stoff, aus dem seit Jahrzehnten Liebesfilme und Komödien ihre Funken schlagen. Gegensätzlicher könnten zwei Menschen kaum sein, doch wie sie gegen alle Vernunft die Abgründe zwischen sich überspringen, zumindest aber auf provisorischen Planken den Weg zueinander suchen und finden, das kann reizvoll, amüsant und anrührend sein – funktioniert freilich immer nur dann, wenn Inszenierung und Schauspieler ein Gespür fürs erzählerische Timing wie für die glaubwürdige Substanz einer solchen Liebesgeschichte entwickeln.
Almut Getto umschifft souverän und elegant die trivialen Fallstricke ihres Sujets, gleitet weder ins Profane ab, noch verfällt sie in allzu seichten Populismus. Vielleicht hat gerade eine solche Integrität gegenüber einem eingängigen Thema dazu geführt, dass man nach ihrem wunderbaren Erstlingsfilm „Fickende Fische“ (fd 35542) sieben Jahre lang auf einen neuen Kinofilm von ihr warten musste. Dabei klingt es so leicht und könnte jede Woche einen Primetime-Sendeplatz im privaten Fernsehen finden: eine Komödie über zwei Menschen, die hier im direkten, dort im übertragenen Sinn nicht zu sehen vermögen, garniert mit treffsicheren Dialogen und amüsanten Scherzen, zwischen die sich gut noch so mancher Werbeblock schieben ließe. Doch wie in ihrem Debüt nimmt die Regisseurin auch hier die körperlichen wie die seelischen Defizite ihrer Protagonisten ernst und verweist in manchen stillen Szenen auch auf deren Einsamkeit, ihre Suche nach Identität und Lebenssinn, nach Zuneigung und einem vertrauensvollen Gegenüber.
Solche Ernsthaftigkeit bricht sich immer wieder Bahn in der amüsanten, betont unaufgeregten, anfänglich sogar eher langsamen Inszenierung, die sich aufmerksam auf wirkungsvolle Ausstattungsdetails, poetische Alltagsszenen und aussagekräftige Verhaltensmuster konzentriert. Diese sind so „einleuchtend“, dass man das absehbare Happy End der beiden ungleichen Liebenden in erster Linie als eine sympathische Utopie verstehen mag, die besonders dank der beiden Hauptdarsteller indes glaubwürdig ist. Bastian Trost als in seiner Verletztheit nie so ganz berechenbarer Phillip, der andere immer wieder vor den Kopf zu stoßen vermag, und Katharina Schüttler, die das an sich ausgelaugte Motiv der „rettenden Blinden“ vehement und leidenschaftlich mit Leben und differenzierten Konturen füllt – das ist ein kleines Dream Team, dem die Regisseurin ganz zu Recht vorbehaltlos vertraut. Daraus entwickeln sich viel Charme, substanzieller Humor und sogar so etwas wie Kinomagie, die im deutschen Unterhaltungskino ganz gewiss nicht selbstverständlich ist.
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