Endstation der Sehnsüchte

Dokumentarfilm | Deutschland 2009 | 97 Minuten

Regie: Sung-Hyung Cho

Dokumentarfilm über koreanische Migrantinnen, die nach mehreren Jahrzehnten in Deutschland mit ihren deutschen Ehemännern nach Korea zurückkehrten und nun ein Rentnerdasein in einem "Deutschen Dorf" auf der Insel Namhae führen, das als Touristenattraktion viele Besucher anzieht. In der präzisen Beobachtung dieses "Culture Clash" fängt der Film aufmerksam und hellsichtig komisch-absurde Momente ein, macht vor allem aber auch die Tragik entwurzelter älterer Menschen sicht- und spürbar, für die der Begriff "Heimat" eine sehnsuchtsbeladene Projektion bleibt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Flying Moon Filmprod./ZDF/3sat
Regie
Sung-Hyung Cho
Buch
Sung-Hyung Cho
Kamera
Ralph Netzer · Axel Schneppat · Stefan Grandinetti
Schnitt
Sung-Hyung Cho
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Dogil Maeul, das „Deutsche Dorf“ auf der koreanischen Insel Namhae, wirkt fast wie eine Karikatur. Die Häuser sehen in ihrer Modellhaftigkeit wie aus dem Versandhauskatalog aus: rote Ziegeldächer, blitzsaubere Vorgärten und akkurat gepflasterte Terrassen. Die nationale Signatur setzt sich auch im Inneren fort. Dunkle Eichenmöbel, die obligatorische Schrankwand, viele Braun- und Beigetöne; auf dem Küchentisch stehen eine Kaffeekanne, Vollkornbrot und sehr viel Wurst. Das „Deutsche Dorf“ wurde im Jahre 2003 für Heimkehrer errichtet, die in den 1960er- und 1970er-Jahren als Krankenschwestern und Bergarbeiter nach Deutschland gingen. Viele der Frauen heirateten deutsche Männer; einige kehrten nach mehr als 30 Jahren mit ihren Gatten in die alte Heimat zurück. Die deutsch-koreanische Filmemacherin Sung-Hyung Cho, die mit ihrem Debütfilm „Full Metal Village“ (fd 38 103) große Aufmerksamkeit erlangte, porträtiert in „Endstation der Sehnsüchte“ drei dieser Ehepaare. Sie begleitet sie durch ihren Alltag, zeigt sie am Frühstückstisch, beim Spaziergang durch das Dorf, beim Essen mit koreanischen Bekannten, im Tempel oder in der Sauna. Der „culture clash“ zwischen deutschen Tugenden und koreanischen Traditionen führt hier nicht selten zu komischen, pointenhaften Situationen. So kann sich Willi beim koreanischen Volkstanz noch so viel Mühe geben, er bleibt wie ein Fremdkörper in der Gruppe. Erstaunlicherweise bestätigen alle Ehemänner reihenweise Klischees. Ludwig beschwert sich über die Unpünktlichkeit seines Besuchs, Willi über einen schräg hängenden Briefkasten; Armin, ein ehemaliger Bauunternehmer, lobt in spießiger Heimwerkermanier seine Betonmischmaschine, die er eigens aus Deutschland mitgebracht hat. Wenngleich diese Demonstrationen „typisch deutscher“ Marotten etwas gefällig inszeniert werden, so lässt sich doch erkennen, dass sie Teil der Sozialisation sind. Und Armins Ehefrau erscheint als mustergültige Deutsche, die pedantisch genau den Brötchenteig abwiegt. Die Regisseurin bezeichnet ihren Film eingangs als einen „Heimatfilm“ – eine demonstrative Geste, die den „Heimat“-Begriff in ein ambivalentes Licht und damit zur Disposition stellt. Denn eine „neue alte Heimat“ haben die Frauen im Deutschen Dorf nicht wirklich gefunden. Für sie war Heimat immer ein Sehnsuchtsort, das Ziel ihrer Wünsche. Doch jetzt, wo dieser Ort real geworden ist, hat er als Projektionsfläche ausgedient. Dafür drängen sich Gedanken an Deutschland immer stärker auf. Zudem leben die Heimkehrer inmitten einer kuriosen Touristenattraktion, was ihr zu Hause exponiert, nicht selbstverständlich erscheinen lässt. Ganze Busladungen von Besuchern dringen an den Wochenenden in das Dorf ein, trampeln durch die Vorgärten und betrachten die Bewohner wie seltsame Zootiere: So werden die Männer beispielsweise als „Langnasen-Opas“ belacht. Der Film zeigt auch, wie sehr sich Fremdheit über Sprache definiert. Keiner der Männer hat die Sprache der neuen „Heimat“ gelernt. Sobald koreanisch gesprochen wird, driften die Männer in eine Art isolierte Parallelwelt ab. Oder man verständigt sich mit einem kruden Mix aus englischen, deutschen und koreanischen Brocken und Zeichensprache. Für den Zuschauer ist das erheiternd, den Beteiligten ist die Frustration jedoch deutlich anzumerken. In einer Szene sitzt Willi mit einer Gruppe von Koreanern am Essenstisch. Sie beschweren sich dabei über seine Arroganz, ihre Sprache nicht lernen zu wollen. Doch auch dieses Thema lässt sich nicht kommunizieren, Willi versteht sie ja nicht. „Endstation der Sehnsüchte“ ist ein präzise beobachteter Film mit einem guten Gespür für den „richtigen Augenblick“. Doch etwas weniger „comic relief“ hätte ihm gut getan. Es gibt viel zu staunen und zu lachen, doch erst gegen Ende kommt die ganze Tragik dieser Schicksale zum Vorschein. Denn die Migrationsgeschichten der koreanischen Frauen erzählen nicht nur von kultureller Fremdheit und fundamentaler Entwurzelung, sondern auch von überaus schmerzvollen Familientrennungen. So musste sowohl Young-Sook Theis als auch Chun-Ja Engelfried ihre Kinder in Deutschland zurücklassen. Glücklicherweise konzentiert die Regisseurin ihre Beobachtungen nicht ausschließlich auf den Aspekt der Migration. Auf diese Weise ist Sung-Hyung Cho nämlich ganz nebenbei auch ein Film über ältere Ehepaare gelungen – über ihre Liebenswürdigkeiten und Schrulligkeiten, über ihre stillen Absprachen und geheimen Codes. Verschiedene Systeme von Sprache existieren auch hier, in scheinbar größtmöglicher Vertrautheit.
Kommentar verfassen

Kommentieren