Der erste Spielfilm der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist ist eine experimentell-naive Farborgie. Die kleine Titelheldin lebt in einer bunten Fantasiewelt, erfährt aber bald den Zwang zur Konformität. Als Erwachsene will sie ihre Angst überwinden und sucht Gleichgesinnte, mit denen sie gegen die verknöcherten Rituale der bürgerlichen Gesellschaft aufbegehrt. Gemeinsam bemalen sie Menschen und Gebäude, wobei sich die Hauptthemen von Rists Schaffen, Gender, Sexualität und Körper, in vielen Motiven und Wendungen spiegeln. Eine visuell grandios inszenierte Komödie mit psychedelischen Anklängen und vielen Seitenhieben gegen das Establishment.
Pepperminta
Komödie | Schweiz/Österreich 2008 | 80 Minuten
Regie: Pipilotti Rist
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Filmdaten
- Originaltitel
- PEPPERMINTA
- Produktionsland
- Schweiz/Österreich
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Coop 99/hugofilm
- Regie
- Pipilotti Rist
- Buch
- Chris Niemeyer · Pipilotti Rist
- Kamera
- Pierre Mennel
- Musik
- Andreas Guggisberg · Roland Widmer
- Schnitt
- Gion-Reto Killias
- Darsteller
- Ewelina Guzik (Pepperminta) · Sven Pippig (Werwen) · Sabine Timoteo (Edna) · Elisabeth Orth (Leopoldine) · Dirk Sikorski (Wachtmeister Gruber)
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- -
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Welche zeitgenössische Schweizer Künstlerin hat es je zu einer Show im Museum of Modern Art in New York gebracht? Möglicherweise nur Pipilotti Rist! Nach unzähligen Videos und Installationen, mit denen sich die Künstlerin einen festen Platz in der Geschichte der Videokunst eroberte, kommt jetzt ihr erster „Spielfilm“ „Pepperminta“, eine Farborgie, experimentell und „naiv“. Pepperminta ist zunächst ein zehnjähriges Mädchen, das mit Schnecken spielt. 20 Jahre später rekrutiert sie ihre eigene Mannschaft zum Widerstand gegen eine bürokratisierte, bürgerliche Welt: Werven, der immer so aussieht, als sei er geistig behindert; dann Edna, bei der man auch nicht weiß, ob man sie nun schrecklich finden oder genial finden soll. Gemeinsam malen die drei die Welt in leuchtendem Rot, Pink, Hellblau und vielen anderen Tönen an, bis das steinerne Wien als Teletubby-Landschaft wieder aufersteht. Überall treffen sie auf wohlstandsunterdrückte Menschen, die sie mit Farbe einschmieren. Die Farbe befreit sie, worauf sie alle lustvoll von dannen toben. Gelungen sind kulturelle Seitenhiebe, etwa auf den Professor, dem im Hörsaal der Kragen platzt, als eine Studentin in orgasmisch verzückter Rebellion den blanken Busen wippen lässt. Sollte das etwa Adorno sein, der 1968 im männlich-linken Lager subvertierte, bei einem solchen Vorkommnis aber die Polizei rief?
Bekannt aus früheren Werken sind viele der Einstellungen, etwa die haarige Brustwarze aus „Pickelporno“, und die technischen Tricks, wenn Körperöffnungen wie die Nasenlöcher als gelbe Ganglion-Strukturen erscheinen oder der Horizont zur strahlenden Kulisse verfremdet wird. Diese Bilder sind immer wieder „cool“, ebenso auch die Utopien, die Rist nie aufgegeben hat: Wer erzählt denn noch von „chosen families“, „freier Liebe“ oder dem Menstruationsblut, das für diverse Riten im Kühlschrank aufbewahrt wird? Gender, Sexualität und Körper sind die Themen von Rists Werk. Glücklicherweise wurde bei ihrer MOMA-Show 2009 primär ihre psychedelische Ästhetik wahrgenommen. Hierzulande wäre ihr endlich eine Öffentlichkeit zu wünschen, die sie vom lindgrenschen Oma-Habitus befreit: Pippi Langstrumpf hat als Identifikationsfigur für eine knapp 50-Jährige wohl ausgedient.
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