Vielleicht ist „Der Knochenmann“ der geeignete Anlass, um mit dem Lamentieren darüber aufzuhören, dass der eigentümliche Sound der „Brenner“-Kriminalromane von Wolf Haas, seine „schräge“ Erzählhaltung eines die Handlung kommentierenden Zwiegesprächs mit dem Leser, filmisch nicht in den Griff zu bekommen ist. Zwei Adaptionen, „Komm, süßer Tod“
(fd 35 043) und „Silentium“
(fd 36 938), hatten dies gezeigt. Beide Filme waren trotzdem nicht misslungen und, zumal in Österreich, recht erfolgreich an den Kinokassen. Von „Werktreue“ ist hier nur bedingt zu sprechen; das bewährte Team Wolfgang Murnberger, Josef Hader und Wolf Haas hat den bekannten „Knochenmann“-Fall (das Buch erschien bereits 1997) stattdessen um einige Extravaganzen gekürzt, die Handlung gestrafft und teilweise in eine neue, konzisere Ordnung gebracht. Sehr zum Vorteil des Films! Der Ex-Polizist Brenner, mittlerweile im Inkassowesen tätig, wird von einem Freund gen Osten geschickt. Weil der Künstler Horvath seine Raten schuldig bleibt, soll Brenner das geleaste Auto aus der Oststeiermark zurückführen. Wenig später hat Brenner das Fahrzeug gesichtet, sitzt in der bei Jung und Alt beliebten Backhendlstation „Löschenkohl“ und wird herablassend und wie ein Fremder, der fehl am Platz ist, behandelt. Brenner wäre aber nicht Brenner, ließe er sich davon vertreiben. Ein findiger Detektiv ist er allerdings nicht, dazu ist er viel zu passiv: Er bleibt einfach so lange sitzen, bis sich ihm ein Abgrund an Missgunst, Lebensgier und verkorksten Lebensentwürfen aufgetan hat.
In der Backhendlstation werden nicht nur hungrige Mäuler gestopft, sondern im Keller wird mittels einer Knochenmühle aus den Abfällen auch gleich das Futter für die zuliefernde Geflügelfarm gemacht. Brenner beobachtet die Vorgänge im „Löschenkohl“ zunächst mit einer Mischung aus Neugier, Staunen und Angewidertsein. Er wird Zeuge heftiger Auseinandersetzungen zwischen dem alten Löschenkohl und dessen Sohn Pauli, verliebt sich in dessen Frau Birgit und wird langsam in die Geschichte hinein gezogen, die er allerdings erst zum Schluss in ihrem ganzen Umfang zu realisieren beginnt. Aber da hat er bereits einen Finger verloren.
Der Film macht es so ähnlich wie Brenner: Er lässt sich bequem nieder und guckt erstmal, wie das Leben in der Provinz so ausschaut. Mindestens so sprechend wie die Bilder, die der Film „draußen vor der Tür“ findet, sind die Erkundungsfahrten, die die Kamera durch die zerklüfteten Landschaften der Gesichter unternimmt. Noch nie war eine Nase so sehr das Zentrum eines Films wie es Josef Bierbichlers gewaltiges Organ in „Der Knochenmann“ ist. Man glaubt, diesen Film zu riechen. Gäbe es das Geruchskino bereits, man würde diesen Film fliehen, denn er verströmt eine Melange aus Backfett, Angstschweiß, Leichengeruch und viel zu lange getragener Unterwäsche. Zur Hendl-Folklore gesellt sich rasch ein krimineller Impuls, der von der Sexindustrie in der grenznahen Slowakei handelt. Der Traum des alten Löschenkohl hat mit Liebe, mit der Sehnsucht nach Nähe zu tun; der Traum des jungen Löschenkohl mit Geld, Macht und mangelndem Respekt. Überblickt man die unterschiedlichen Männerbilder und -rollen, versteht man recht gut, warum Birgit sich schließlich für den abgeschlafften Brenner interessiert. Doch die eigentliche Liebesgeschichte des Films spielt sich anderswo ab und handelt davon, dass man manchmal auch dann etwas riskieren muss, wenn man die Konsequenzen nicht überblickt. So handelt „Der Knochenmann“ auf gleich mehreren Ebenen von der Veränderung: Geld wechselt den Besitzer, Beziehungen verändern sich und sollen zu Geld gemacht werden, Männer werden zu Frauen, halb fertige Neubauten werden zu Denkmälern längst verlorener Lieben, Abfall wird zu Futter – der Film breitet dieses Szenario ganz beiläufig mit einer Mischung aus Melancholie und Weltekel aus. Früh kommt Gewalt ins Spiel, um Probleme radikal zu lösen, und hat doch Konsequenzen, die sich nur noch mit immer größerem Aufwand und ausufernderer Gewalt kontrollieren lassen. Hier schlägt der rabenschwarze Humor des Films in Szenen um, deren Drastik plötzlich eine Nähe zum Subgenre des Hinterwäldler-Horrorfilms eröffnen. Wenn „Der Knochenmann“ ganz zum Schluss mühsam versucht, die vorgeführten Schrecken wieder ins sichere Bett des politisch unkorrekten Buddy-Movies zurückzulenken, will das nicht so recht gelingen, weil die destruktive Energie, die zuvor spürbar war, eben nicht aus der Welt ist, wenn ein etwas unüberschaubarer Mordfall gelöst wird. Es ist ein schöner Zufall, dass „Der Knochenmann“ und Götz Spielmanns „Revanche“
(fd 39 140) zeitlich so nah anlaufen: Jetzt ist es schon wieder passiert – die Provinz hat ein entschiedenes Imageproblem, gerade auch in Österreich.