Gebannt blickt der Junge auf eine Schar milchig leuchtender Medusen, die im Aquarienwasser pulsieren. Aus dem Off kommentiert ein Mann seine Erinnerung: Die Würfelqualle, das giftigste Tier des Ozeans, sei für ihn vom ersten Anblick an auch das schönste geblieben. Der erwachsene Ben Thomas stellt sich ein Kleinaquarium inklusive Würfelqualle neben das Bett. Zeichen einer Todessehnsucht, deren Ursache nur in kleinen Dosen ahnbar wird: Ein Autocrash, die tote Ehefrau, insgesamt sieben Todesopfer. Saß Ben am Steuer? Der aus der Handlung nicht erklärbare Originaltitel „Seven Pounds“ erinnert an „21 Gramm“
(fd 36 365) von Alejandro González Iñárritu. Schuldverstrickung, Schicksalsbegegnungen und eine Herztransplantation spielen erneut eine gewichtige Rolle. Dazu adaptierte Regisseur Gabriele Muccino die komplizierte, zeitlich vor- und zurückspringende Erzählstruktur von Iñárritus Meisterwerk, ein Verfahren, das er nach einiger Zeit aber mehr oder weniger über den Haufen wirft. Trotz des Arthouse-Flairs, flüssiger Kameraarbeit und einer Reihe atmosphärischer Bilder erweist sich die Produktion eher als Vehikel für den Star und Mitproduzenten Will Smith denn als ambitioniertes Drama. Darstellerisch engagiert sich Smith allerdings nach Kräften. Doch allein Woody Harrelson treibt seine Nebenrolle als blinder Pianist und Callcenter-Tagelöhner so weit an die Grenze zur Parodie, dass man sich kurzzeitig in der absurden Höhenregion der Douglas-Sirk-Schnulze „Die wunderbare Macht“ (fd 3390) wähnt. Dabei ist nicht einmal sicher, ob „Sieben Leben“ wirklich als Melodram durchgehen kann, weil der Film auch Elemente von Thriller, Sozialdrama, Liebesromanze und des Spielbergschen Wunderkinos verhackstückt, ohne mehr als Sentiment und Stirnrunzeln zu provozieren.
Die Geschichte geht so: Der seelisch angeschlagene Ben ist in Los Angeles als Steuerprüfer unterwegs. Höher als die Loyalität zur Finanzbehörde schätzt er jedoch die Frage der moralischen Integrität seiner Klienten. „Sind Sie ein guter Mensch?“, will er regelmäßig wissen. Falls ja, hilft er bis zur Selbstkasteiung: Er trägt eine bettlägerige alte Dame ins Krankenhaus, überschreibt einer gebeutelten mexikanischen Kleinfamilie seinen Bungalow am Meer und spendet einem leukämiekranken Jungen sein Knochenmark. Der reizenden, aber herzkranken sowie hochverschuldeten Emily Posa – auch sie hängt zeitweise am Infusionsschlauch – schenkt Ben zumindest metaphorisch sein Herz und hilft ihr finanziell auf die Sprünge. Weil dieser Film in überaus verlogener Weise auf Barack Obamas „Yes-We-Can“-Welle reitet, schließt Emily Ben irgendwann ihr verborgenes Reich auf, eine Setzerwerkstatt einschließlich „Heidelberger Druckmaschine“, deren Funktionsstörung von Ben in der folgenden Nacht glücklich behoben wird, im sexy Feinripp, versteht sich. Nach einem Candlelight-Dinner mit Emilys Nudelauflauf, lustigen Karaoke-Einlagen und anschließender Kopulationssequenz im Stil einer Weinbrandreklame schießen Ben unvermittelt die Unfallbilder wieder in den Kopf. Es ist an der Zeit, einen längst ausgearbeiteten Plan in die Tat umzusetzen.
Man kann es schon wieder raffiniert nennen, dass der verkorkst religiöse Zug des Films – fast glaubt man, ein Sektenmanifest vor sich zu haben, in dem Nächstenliebe mit Selbstvernichtung kurzgeschlossen wird – durch den Puzzlecharakter der Story lange verborgen bleibt. Am Ende aber wird man doch ins Eiswasser schockierend schlechter Hollywood-Dramaturgie geworfen. Und noch einmal zuckt die Würfelqualle.