Eigentlich ein "sicherer" Filmstoff: die Titelfigur mil dem Schnurrbart, der Melone, der abgewetzten Kleidung, dem Stöckchen und den überdimensionalen Latschen kennt jedes Kind. Er. der wie kein anderer Komiker Filmgeschichte geschrieben hat, hat, wie Jacques Tati einmal formulierte, ein Werk hinterlassen, das "immer zeitgemäß und doch ewig" ist. Und da man über sein filmisches Schaffen getrost das Adjektiv "menschlich" setzen kann, war es fast folgerichtig, daß sich sein Landsmann Richard Attenborough der Verfilmung seines Lebens widmen würde, hatte er doch mit "Gandhi" schon einmal einem "Humanisten" ein filmisches Denkmal gesetzt. Um so erstaunter vernahm man aus den USA die Kunde, daß der Film "Chaplin" dort bei Publikum und Presse durchgefallen sei. Sollte der heutigen. mit oberflächlicher "Action" verdorbenen Kinogeneration die Wertschätzung für einen der Urahnen des mittlerweile so inflationär mißbrauchten Mediums verlorgengegangen sein? Vielleicht hat Attenborough aber auch zu wenig den "Zeitgeist" beachtet, als er seine Chaplin-Biografie konzipierte und wenig Wert auf eine exzessive optische Ausschmückung des an politischen und privaten Skandalen reichen Lebens seines "Helden" legte."Chaplin" ist ein im positiven Sinn altmodischer Film, der chronologisch die Lebensgeschichte des genialen Komikers nachzeichnet: Es beginnt mit dem ersten "unfreiwilligen" Bühnenauftritt des fünfjährigen Charlie in einem drittklassigen Londoner Varieté, wo er für seine gerade wieder einmal ausgebuhte Mutter einspringt. Es folgen kurze Szenen aus dem Armenviertel, wo er mit seiner Mutter und seinem älteren Halbbruder Sydney lebt, bis sie ins Waisenhaus gesteckt werden und die Mutter ins Irrenhaus. Sidney stellt Charlie dem Varieté-Produzenten Fred Karno vor, und durch dessen Burlesk-Shows tingelt er mil Slapstick-Nummern. bis die Truppe 1913 in die USA geht und er dort von dem Stummfilm-Pionier Mack Sennett entdeckt wird. Chaplin entwickelt die Figur des "Tramps", übernimmt bald auch die Regie seiner Filme und baut sich schließlich mit Hilfe Sidneys, der sein Manager geworden ist, ein eigenes, weitgehend unabhängiges "Filmimperium" auf. Charlie, der immer noch darunter leidet, von seinem Jugendschwarm Hetty Kelly abgewiesen worden zu sein. verliebt sich immer wieder in allzu junge Frauen, was die Ehen nach kurzer Zeit scheitern läßt und die Moralhüter im puritanischen Amerika aufbringt. Als eine gewisse Joan Barry ihm ein Kind unterschieben will, ruft das sogar den Chef des FBI, Hoover, auf den Plan, der den unliebsamen Ausländer, in dessen sozialkritischen Komödien er kommunistische Hetzparolen hineininterpretiert, am liebsten ausweisen würde. Tatsächlich wird Chaplin in einem Prozeß, der den erbrachten Beweis gegen seine Vaterschaft einfach leugnet, von einem fanatischen Staatsanwalt beschuldigt und verurteilt. Hoover bastelt weiter an seiner Montage, und als er 1952 mit seiner vierten Frau Oona nach London zur Premiere von "Limelight" reist, annullieren die US-Behörden sein Visum. Chaplin läßt sich in der Schweiz nieder und kehrt erst 1972 nach Hollywood zurück, um einen "Ehren-Oscar" in Empfang zu nehmen.Mit dieser bewegenden Szene, die etwas von jener Rührung und Wärme vermittelt, die Chaplin in so viel Herzen hat fließen lassen, entläßt Attenborough die Zuschauer, die er vorher eher ein wenig auf Distanz gehalten hat. Fast dokumentarisch, mit Liebe zum Detail beschreibt er die Stationen eines bewegten Lebens, reißt den Zuschauer immer wieder dann. wenn er allzu sehr in die Figur des Tramps einzutauchen droht, mit nachgestellten Interviewszenen, in denen der (Buch-)Biograf den alten Chaplin befragt und zu mehr Offenheit drängt, aus dem "Gefühlskino" heraus. So bleibt man immer etwas in der Beobachterposition, was Attenborough natürlich auch gestattet, selbst nicht allzu sehr in die Charaktere seiner Personen und deren zwischenmenschliche Beziehungen einzutauchen. Man erfährt herzlich wenig über Chaplins in bezug auf Frauen "verkorkste" Psyche, die ihn immer wieder auf fast Minderjährige fliegen läßt, seine Freundschaft zu Douglas Fairbanks erschöpft sich im Film in einigen routiniert geschriebenen Wortgeplänkeln, die allerdings von Kevin Kline mit einem dem Original nicht nachstehenden Charme "retourniert" werden. Am ehesten gewinnt von den Haupt-Nebenfiguren noch der Kommunistenjäger Edgar J. Hoover Profil (brillant: Kevin Dunn), den Attenborough eine dermaßen diabolisch wirkende Machtbesessenheit ausstrahlen läßt, daß einem klar wird, warum sich dieser undurchsichtige Mann über 50 Jahre als Chef des FBI halten konnte. Die Durcharbeitung seiner Rolle wirkt wie eine Vorstufe zu einer längst überfälligen filmischen Aufarbeitung seiner zwiespältigen Figur und Amtszeit.Vielleicht ist es diese im zweiten Teil des Films doch im Mittelpunkt stehende politische Tendenz, die die ihrer eigenen Geschichte nicht gerade kritisch gegenüberstehenden Amerikaner vom Besuch des Films abgeschreckt hat. Und hierzulande braucht man sicherlich auch einige Vorinformationen, um die im Film angesprochenen Themen einordnen zu können. Attenborough verlangt einiges von einem eher an oberflächliche Hollywood-Biografien gewöhnten Publikum. Er geht in seiner Verehrung für seinen Kollegen auch so weit, daß er vom opulenten CinemaScope-Format seiner bisherigen Film-Biografien abweicht und zum unspektakulären "Normalformat" aus den Anfängen des Kinos zurückkehrt. Zudem "kopiert" er kongenial den statischen Aufnahmestil der damaligen Produktionen, die fast keine Fahrtaufnahmen kannten. Daß er den Film nicht in Schwarz-Weiß gedreht hat, liegt vielleicht nur daran, daß sich so die eingespielten Ausschnitte aus Chaplins Filmen besser abheben und daß die "Beobachter" auch damals natürlich die Welt (im Gegensatz zur Kamera) farbig sahen. Für den heutigen (Kamera-)Blick auf eine vergangene Epoche fand der frühere Bergman-Kameramann Sven Nykvist Farben und Beleuchtungseffekte, die stimmig jede Atmosphäre ausloten: dem kalten Grau-Blau in den Londoner Slums läßt Nykvist bei der Ankunft Chaplins in Kalifornien einen lichtüberfluteten Blick über ein farbenprächtiges Tal folgen, daß man sich wie im Paradies fühlt. Leider hat John Barry diese wunderschönen Bilder mit einer wenig einfallsreichen Musik untermalt, was besonders auffällt, wenn Chaplins originelle Eigenkompositionen angespielt werden. Aber natürlich steht und fällt der Film mit dem dermaßen "echt" in die Rolle Chaplins geschlüpften Robert Downey jr. - der mit zunehmendem (Rollen-)Alter sich immer mehr der Physiognomie Chaplins angleicht -, daß man manchmal meint, er habe selbst den "Slapstick" erfunden. Daß diese schauspielerische Leistung nicht mit einem "Oscar" belohnt wurde, ist vielleicht die letzte "Rache" an einem Genie, daß sich nie den Gesetzen Hollywoods gebeugt hat.