Man wird ihn nicht mögen, warnt John Wilmot, Earl of Rochester, in einem Prolog. Dieser „Libertine“ ist eine Mischung aus impertinentem Wüstling à la Lord Lovelace aus Richardsons „Clarissa“, Don Giovanni und byroneskem Genie – und eine Figur, die sich in ihrer radikalen, selbstzerstörerischen Auflehnung gegen jede von außen abgeforderte Verformung der eigenen Person wunderbar ins Œuvre des notorischen Außenseiters Johnny Depp einfügt. Die Verfilmung von Stephen Jeffreys Bühnenstück zeichnet den Niedergang des verrufenen Aristokraten nach, der im England der Restaurationszeit mit einer Reihe obszöner, satirischer Texte den König gegen sich aufbrachte – also in der Phase nach dem Tode Cromwells in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als die Monarchie unter Charles II gegenüber dem Parlament wieder Boden zu erkämpfen trachtete.
Die Einführung und der Epilog, mit denen sich die Hauptfigur sozusagen post mortem an ihr Publikum wendet, bilden dabei so etwas wie die Antithese zur Hinterlassenschaft des realen Rochester: Auf dem Totenbett (angeblich) vom Atheismus zum Glauben zurückgeführt, blühte dessen Nachruhm nicht zuletzt in der christlichen Erbauungsliteratur. Von solch einer Bekehrung kann hier nicht die Rede sein. Das Porträt dieses erlösungsresistenten Sünders ist weniger ein klassischer Historienfilm – die Hintergründe und politischen Rahmenbedingungen werden relativ spärlich ausgeleuchtet –, als vielmehr eine suggestive Künstlertragödie, in der dem Theater eine tragende Rolle zukommt: Charles II, ein Bewunderer von Rochesters scharfem Geist trotz dessen impertinenter Art, wünscht von diesem ein Stück, das seiner Herrschaft ein würdiges Denkmal setzen und sie in politisch schwieriger Zeit stützen soll.
Rochester nimmt die Herausforderung anscheinend an; tatsächlich sind ihm das gebotene Geld wie auch der Ruhm und die Ehre aber denkbar gleichgültig. Während seine legendären Ausschweifungen zunehmend nicht mehr Ausdruck von Lebenslust, sondern vielmehr von -überdruss und einer tiefen Abscheu seiner Umgebung und seiner Zeit gegenüber sind, sucht er im Theater nach so etwas wie Wahrhaftigkeit. Seine Beziehung zur Schauspielerin Elizabeth Barry (Rosamund Pike) wird dabei zum Medium seines Kunststrebens – und findet ein Ende, als sich Rochesters „staatstragendes“ neues Werk einmal mehr als degoutanter Schlag tief unter die Gürtellinie des Monarchen entpuppt; der Autor muss folglich in den Untergrund abtauchen. Während es Barry schafft, zwischen ihren eigenen Kunstansprüchen und dem Publikum zu vermitteln, und zum Star aufsteigt, manövriert sich ihr radikaler Liebhaber zielsicher ins gesellschaftliche Aus. Von Syphilis und den Folgen exzessiver Trunksucht körperlich zersetzt, scheidet er schließlich aus einer Welt, die für seinen unruhigen Geist niemals der rechte Ort war.
Die Tatsache, dass „The Libertine“ mit Kerzenlicht ausgeleuchtet wurde, unterstützt nicht nur die düstere Atmosphäre eines wortwörtlich wie im übertragenen moralischen Sinn im Schlamm versinkenden und stets bei Nacht oder unter einem wolkenverhangenen Himmel gezeigten Londons, in dem der Film angesiedelt ist; sie verweist auch auf Kubricks „Barry Lyndon“ (fd 19 995), dessen Schicksal sich in dem des „Man of Mode“ John Wilmot (der das Vorbild für George Etheredges Theaterfigur abgegeben hat) spiegelt. Ähnlich wie dieses Vorbild kreiiert der Film ein vielschichtiges und beziehungsreiches Porträt, das als Zeitbild überzeugt und gleichzeitig eine zeitlose Reflexion über das Verhältnis von Künstler und Gesellschaft liefert. Neben der Dramenvorlage und seinen brillanten Darstellern helfen dabei die Sprachkunst Rochesters, die immer wieder Eingang in den Film findet, als auch die Musik von Michael Nyman, die einmal mehr meisterhaft mit barocken Klangformeln spielt.