Porträtfilm, der das vergessene Werk des Malers, Musikers, Regisseurs, Kameramanns und Fotografen der Neuen Sachlichkeit Alfred Erhardt neu entdeckt. Aufmerksam und kenntnisreich nähert er sich den Objekten sowie dem Stil Erhardts, besucht Originalschauplätze seiner Filme und ruft Erhardts großen Respekt vor der Schöpfung in Erinnerung. Erhardt wird dabei als zivilisationskritischer, aber auch visionärer Naturbewahrer präsentiert, der sich vor den Nazi-Barbaren in eine vergeistigte metaphysische Kosmoslehre und die Erhabenheit von Naturräumen flüchtete. Zwar verbietet sich der Film wohltuend kunstvolle Mätzchen, erscheint er in seiner behäbigen Machart aber bisweilen auch etwas antiquiert.
- Ab 14.
Die Natur vor uns
Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 150 Minuten
Regie: Niels Bolbrinker
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Filmtank Hamburg/Alfred Ehrhardt Stiftung
- Regie
- Niels Bolbrinker
- Buch
- Niels Bolbrinker
- Kamera
- Niels Bolbrinker
- Musik
- Christoph Dejean
- Schnitt
- Niels Bolbrinker
- Länge
- 150 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Die Frage, was ein Kunstwerk ausmacht, durchzieht diesen in malerischen Landschaftsaufnahmen schwelgenden Film wie ein roter Faden. Verwandelt sich die Natur erst durch die künstlerische Fantasie in Kunst oder bedarf sie in ihrer überwältigenden Formenvielfalt gar nicht der äußeren Aneignung? Oder wie Cees Noteboom in seinem Roman „Allerseelen“ fragte: „Etwas in der Natur, das nicht bewusst so gemacht worden war, strahlt eine große Schönheit aus. Aber wessen Schönheit ist es nun? Die der Natur, oder die der Aufnahme des Fotografen?“
Der mediale Grenzgänger Alfred Erhardt hat mit seiner Arbeit versucht, der Antwort ein Stück näher zu kommen. „Die Natur vor uns“ entdeckt das vergessene Werk des Malers, Musikers, Regisseurs, Kameramanns und Fotografen der Neuen Sachlichkeit wieder. Der 1901 geborene Thüringer war ausgebildeter Organist, bevor er als Autodidakt zur Malerei abstrakter Formen wechselte. Am Dessauer Bauhaus lernte er Wassily Kandinsky und Paul Klee kennen und weitete sein Interesse an der Abstraktion auf die Natur und die Fotografie aus. Unter dem Einfluss der modernefeindlichen Kunstpolitik der Nationalsozialisten, die ihn 1933 mit einem Berufsverbot belegten, wechselte er endgültig von der Malerei zur Fotografie und schließlich zum Dokumentarfilm. Das Filmteam um Regisseur Niels Bolbrinker, der Erhardt in den 1970er-Jahren bei einem Filmprojekt assistierte, begibt sich zu den Stationen seines Schaffens: zur Bauhaus-Schule, dem Wattenmeer, der Kurischen Nehrung und nach Island.
Im Sommer 1938 unternahm Erhardt mit seiner Frau Lotte eine Reise auf die Vulkaninsel. Auf den Spuren des Evolutionsbiologen Ernst Häckel und der berühmten Pflanzenfotografen Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch suchte das Paar dort nach den Kunstformen der Natur und den Urformen der Kunst. Was Erhardt fand und aufs Fotopapier bannte, waren von Wind und Wetter modellierte Sandformationen und bizarre Felsgruppen, die er seinem Ideal entsprechend ohne Zeichen von menschlichen Eingriffen einfing, die es schon damals zu sehen gab. Der Film unterlegt diese selektiven Dokumente aus dem Off mit Lottes Tagebuchnotizen. Die so innovativen wie religiös angehauchten schwarz-weißen Aufnahmen begnügen sich nicht damit, Landschaftsstimmungen zu reproduzieren. Sie suchen nach den „überzeitlichen elementaren Urkräften“ in den grafischen Details und den sich wiederholenden geometrischen Formen der Natur, getragen vom großen Respekt vor der Schöpfung und der Hoffnung, der Mensch möge das ihm anvertraute Naturwunder erhalten und nicht zerstören.
Der mitunter der meditativen Wirkung der Bilder ein wenig zu sehr erliegende und deshalb langatmig geratene Film stellt die streng komponierten Fotografien in Leinwandgröße und die menschenleeren Landschaftsaufnahmen aus Erhardts über 50 Kulturfilmen, die er zwischen 1930 und 1960 drehte, den eigenen Aufnahmen der gleichen Orte gegenüber. Es sind veritable Naturschauspiele, in denen Nebel, Lichtwechsel, Eisblöcke, Lava und imposante Wasserfälle die Hauptrolle spielen. Aus den wohlwollenden Interviews aus dem Umfeld der Familie, mit einem litauischen Fotografen, einer isländischen Kunsthistorikerin und der Leiterin der Alfred-Erhardt-Stiftung erfährt man, das Erhardt ein unscheinbarer, in sich gekehrter Mann war, der sich nach dem Norden sehnte, den die Nazi-Ideologie, insbesondere Island, als den Ursprung der Germanen ansah. Von solchen unbequemen, kulturhistorischen Hintergründen seiner Arbeit hätte man gerne mehr erfahren. Der von der Kölner Alfred-Erhardt-Stiftung mitproduzierte Film blendet sie nicht aus, lässt sie aber auch seltsam desinteressiert links liegen. Viel lieber wird Erhardt als zwar zivilisationskritischer, aber visionärer Naturbewahrer präsentiert, der sich vor den Nazi-Barbaren in eine vergeistigte metaphysische Kosmoslehre und die Erhabenheit von Naturräumen flüchtete. Nach Avantgarde klingt diese Charakterisierung heute nicht mehr, höchstens esoterisch. Auch der Film verbietet sich jegliche kunstvollen Mätzchen, was durchaus erholsam sein kann; gleichwohl erscheint er in seiner behäbigen Machart oft auch seltsam antiquiert.
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