Mit den Ahnungslosen und Trotteln kennt das filmische Universum, das die Coen-Brüder seit den 1980er-Jahren entwerfen, meist kein Pardon. Darauf, dass in letzter Sekunde ein rettender Engel auftaucht (wie in „Hudsucker – Der große Sprung“, fd 30810) oder eine biblische Sintflut alles verändert (wie in „O Brother, Where Art Thou?“, fd 34496), sollte man sich besser nicht verlassen. Die Coen-Brüder sind sozusagen die Darwinisten unter den US-Autorenfilmern: Das Recht des Stärkeren und die Anarchie verrückter Zufälle bestimmen, wer am Ende ihrer Filme im Häcksler landet und wer davonkommt. In „No Country for Old Men“
(fd 38601) hatten sie das mit markerschütternder Konsequenz durchexerziert, wenn Javier Bardem als verkörperte (Todes-)Willkür eine Münze warf und damit entschied, wer weiterleben durfte und wem mit dem Bolzenschussapparat das Licht ausgeblasen wurde. Die groteske Form, die das Sterben in Coen-Filmen annimmt (und die den Filmemachern bisweilen als Zynismus ausgelegt wird), hat etwas von einem spätmittelalterlichen Totentanz: makaber, zwischen Horror und Gelächter balancierend, schlägt ein „wilder Tod“ zu, der sich jedem Sinnsystem, auch dem des Genrekinos, widersetzt.
Während in „No Country for Old Men“ der Schrecken überwog, dominiert in „Burn After Reading“ nun wieder das Lachen. Doch auch in dieser Geheimdienst-Farce geht es nicht ohne einen gewissen „Body-Count“ ab, fordert doch ein ganzer Haufen (hochkarätig besetzter) Trottel das Schicksal heraus, unter ihnen George Clooney als umtriebiger Frauenheld mit paranoiden Zügen, Brad Pitt als treuherzig-energetischer Blödian mit blondierten Haarspitzen und John Malkovich als trunksüchtiger, dauerbeleidigter Ex-CIA-Agent. Letzterer ist es, mit dem die Komödie in Gang kommt: Balkan-Spezialist Osbourne Cox soll wegen seines Alkoholproblems zu einem Schreibtischjob verdonnert werden, worauf er empört den CIA-Dienst quittiert und seine Memoiren schreibt. Natürlich gerät dieses brisante Material bald in unbefugte Hände, und natürlich beißen die unbedarften Erpresser, die Cox seine eigenen Informationen zurückverkaufen wollen, mit ihrem dilettantischen Coup mehr ab, als sie schlucken können. Da alle irgendwie auch noch Affären miteinander haben und einmal mehr eine Verkettung unseliger Zufälle sämtliche Pläne durchkreuzt, hat schließlich selbst der CIA-Chef keinen Schimmer mehr, was eigentlich gespielt wird.
Bei allen aberwitzigen Albernheiten und übertriebenen Schrullen der Figuren besitzt „Burn After Reading“ in Frances McDormand ein wunderbares emotionales Zentrum: Sie spielt Linda, die Angestellte eines Fitnessstudios, der die CD mit Cox’ Daten in die Hände fällt. Wie der Friseur Ed in „The Man Who Wasn’t There“
(fd 35136) oder der Autohändler Jerry in „Fargo“
(fd 32223) ist diese in die Jahre gekommene Single-Frau ein rührender kleiner Normalo, der vom Schicksal nicht gerade verwöhnt wurde. Auch sie packt die Gelegenheit, mit ein wenig krimineller Energie an eine große Geldsumme zu kommen, kurz entschlossen beim Schopf, um sich so den Weg in ein vermeintlich besseres Leben zu ebnen – und man würde es der unverdrossen-willensstarken Figur durchaus wünschen, gegen alle Regeln der Vernunft damit durchzukommen. Aber wie die anderen Coen-Charaktere muss auch sie erfahren, dass der amerikanische Pfad des „Pursuit of Happiness“ gerade für kleine Fische voller Fallstricke ist – dementsprechend pflastert ihn bald die erste Leiche.
Einmal mehr beweisen die Coens, die „Burn After Reading“ nach „No Country for Old Men“ relativ schnell produziert haben, wie meisterlich sie die Formeln des Genrekinos beherrschen – nicht zuletzt dann, wenn sie diese mit unverschämter Nonchalance unterlaufen. Um den Witz der dialogischen Duelle und der absurden Situationen zu beschreiben, auf die sich die Schauspieler mit offensichtlichem Vergnügen einlassen, würde das englische Adjektiv „hilarious“ gut passen; im Deutschen trifft es ein herzhaftes „saukomisch“ vielleicht am besten, da damit auch gleich die Derbheit abgedeckt ist, mit der der Nimbus des CIA als Sicherheits- und Kontrollinstanz durch den Wolf privater Macken und Obsessionen gedreht wird. Dabei schauen die Filmemacher wieder mit viel Ironie, aber auch einem Schuss Zärtlichkeit auf ihre Figuren, die ebenso eifrig wie naiv um ein bisschen Glück ringen und dabei von den materialistischen Aspekten des „American Dream“ ebenso verblendet sind wie von den eigenen Neurosen. Am Ende kann man dann nur hoffen, dass der launische Zufall doch einmal zugunsten der ahnungslosen Trottel entscheidet.