Nach 20 Jahren kehrt eine Portugiesin nach Mosambik zurück und erinnert sich an die Zeit, in der sie dort als die Frau eines Soldaten der Kolonialarmee lebte, wobei sie den mörderischen Kolonialkrieg nur am Rande wahrnahm. Die filmisch überzeugende, schlafwandlerisch sicher gestaltete Dekonstruktion einer frommen Lebenslüge, die vom Ende einer vermeintlich großen Nation erzählt und dabei den Finger auf die Wunden legt, die bis heute nicht verheilt sind. Ein Meisterwerk, das an ein Lebensgefühl erinnert und zugleich dessen Gehalt an Dichtung und Wahrheit hinterfragt.
- Sehenswert ab 16.
Es war einmal in Afrika
- | Portugal/Frankreich/Deutschland 2004 | 114 (TV) Minuten
Regie: Margarida Cardoso
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Filmdaten
- Originaltitel
- A COSTA DOS MURMÚRIOS
- Produktionsland
- Portugal/Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Filmes do Tejo/Les Filmes d'Après-midi/ZDF-Arte
- Regie
- Margarida Cardoso
- Buch
- Cedric Basso · Margarida Cardoso
- Kamera
- Lisa Hagstrand
- Musik
- Bernardo Sassetti
- Schnitt
- Pedro Marques
- Darsteller
- Beatriz Batarda (Evita) · Filipe Duarte (Luis) · Monica Calle (Helena) · Adriano Luz (Jamie Forza Leal) · Luís Sarmento (Alvaro)
- Länge
- 114 (TV) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
„Oh, wie es fliegende Smaragde regnete! Der Himmel entzündete sich grün, auch wo es gar nicht nötig war – sämtliche Feuer an der Küste nahmen diese Farbe an, selbst jene, die in unseren Herzen loderten“, beginnt der 1988 erschienene Roman „Die Küste des Raunens“ von Lídia Jorge. Mit ihrem ersten Mann, einem Luftwaffenoffizier, lebte die portugiesische Schriftstellerin einige Jahre in Angola und in Mosambik. Die Regisseurin dieses Films, Margarida Cardoso, Tochter eines in Mosambik stationierten Piloten, verbrachte ihre Kindheit in Afrika. Ihre Erinnerungen an das Licht des Indischen Ozeans, an die Gerüche und das Meer durchdringen die Gegenwart, die postkolonialen Gefühle, das Nichtsehen, das Nichthören, das Raunen vom Wandel der Zeit. Die kollektive Amnesie, die Vergangenheitsbewältigung der portugiesischen Kolonialkriege, spielte weder in der Literatur noch im Film eine große Rolle.
Eine Frau verlässt das Flugzeug aus Lissabon, im Bus erinnert sie sich an ihre erste Reise nach Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. Damals, vor 20 Jahren, im Hotelzimmer mit Licht- und Schattenspielen, sah Evita vom Fenster aus – wie unter einem Schleier – ein Land, ein Leben in Trance. Die Farben am Horizont, in der Landschaft: grau-, gelb-, orange- und rotfarben. Auf der Dachterrasse des Hotels feiert eine Hochzeitsgesellschaft. Evita heiratet ihren Verlobten, den Mathematikstudenten Luis, der in Mosambik seinen Militärdienst ableistet – als Fähnrich von Hauptmann Jaime Leal. Dessen Frau Helena führt ein dem Kolonialkrieg entrücktes Leben. Die Gewalt der Soldaten hat in den Beziehungen zu ihren Frauen Spuren hinterlassen. Diese sehen die Probleme zwischen Besatzungsmacht und Befreiungskampf ganz anders. Als in Maputo überall Leichen an Land geschwemmt werden, setzen die Reflexionen über die Ereignisse Ende der 1960er-Jahre, kurz vor dem Tod des Diktators Salazar, ein. Nach dem Einsatz der Männer im Norden des Landes macht Evita den Journalisten Alvaro auf ein Verbrechen an der einheimischen Bevölkerung aufmerksam.
Das Ende der strahlenden Größe Portugals als Kolonialmacht und bedeutende Seefahrernation spaltet die portugiesische Gesellschaft noch immer – in privater, ökonomischer und geografischer Hinsicht. Es sind diese traumatischen Bilder eines ungerechten Krieges, der Schuld, des fehlenden Mutes, die Vergangenheit in Mosambik und andernorts zu verarbeiten. In Cardosos Film fungieren Evita und Helena als Zeugen dieses Prozesses. Aus ihrer Perspektive sieht und hört man alles gefiltert: Film und Roman sind ein Raum, wie Portugal, das immer wie von außen gesehen wird. Der Klang, die Rekonstruktion der Vergangenheit, auch der (subjektiven) Wirklichkeit, verweisen auf die Möglichkeit der Sinnestäuschung: Das Schießen der Männer auf die Flamingos am Strand, eine Szene, bei der sich ihre Frauen entsetzt abwenden, scheint aus einem Antonioni-Film mit Monica Vitti zu stammen. Mosambik, seit dem 15. Jahrhundert portugiesische Kolonie, erlebte seinen ersten Unabhängigkeitskampf in den 1960er-Jahren. Die Kämpfer der marxistisch-leninistischen Frelimo stellten 1975 die erste Regierung, doch ein aggressiver Krieg mit der von Rhodesien aus unterstützten Renamo forderte mehr als eine Million Tote. Den Beginn dieser Rebellion sieht der Zuschauer durch die Augen von Evita. Der Film atmet die Atmosphäre der Suche nach der verlorenen Zeit, einer Zeit in Afrika. Von einem Leben, das die zu Hause Gebliebenen, die in der Abgeschiedenheit der portugiesischen Provinz und von der Diktatur in Unmündigkeit Gehaltenen, nicht wahrnehmen. Das Ausbluten einer Generation junger, hoffnungsvoller Männer kennzeichnet einen Kolonialkrieg, der auch gegen das eigene Volk geführt wurde. Sie offenbart das fehlende Verständnis einer Gesellschaft, die noch heute Stadt und Land trennt, mit einem starken Bildungs- und ökonomischen Gefälle.
Evita leidet unter dem Verlust ihrer Identität, sie weiß nicht, wer sie damals in Mosambik war. Erst am Ende will sie wissen und verstehen. Sie spricht nicht viel, schaut nur, wird zur Zeugin, zum zeitlosen Charakter. Sie ist wie ihr Mann passiv, ein Schatten. Evita muss ganz langsam erkennen, dass der Gatte sich ihr und sich selbst entfremdet hat. „Das Interessanteste ist die Verdrängung des kolonialen Problems zugunsten der familiären Intimität. Der Krieg hier findet nicht im Busch, sondern innerhalb der Mauern des Hauses statt“, erklärt die Regisseurin. Der Garten Eden, der in Wahrheit nie existierte, war für die Portugiesen für immer verloren. Der Film decouvriert diese Lebenslüge mit schlafwandlerischer Sicherheit. Das Afrika in Cardosos Spielfilmdebüt ist trist und schattig, kein pittoreskes Klischee. Über allem schwebt die Anwesenheit des Todes. Diese Stimmung zeigt auch die Leistung der Kamerafrau Lisa Hagstrand, deren fotografische Ästhetik mit dem Rhythmus, dem Lebensgefühl, dem Ineinandergleiten von Dichtung und Wahrheit auf das Feinste korrespondiert. „Es war einmal in Afrika“ ist eine Initialzündung fürs portugiesische Kino, ähnlich der von Paulo Rochas Meisterwerk „Die jungen Jahre“ („Os verdes anos“, 1963).
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