Küss mich bitte!

Komödie | Frankreich 2007 | 101 Minuten

Regie: Emmanuel Mouret

Am Ende eines unverbindlichen Rendezvous wird ein erbetener Kuss verweigert. Dies löst eine Reihe ineinander verschachtelter (Film-)Erzählungen um große Gefühle, enttäuschte Erwartungen und falsche Hoffnungen aus. Eine ausgesprochen elegante Reflexion in Form einer dialogreichen Salonkomödie, die mit überzeugenden Darstellern die Abgründe der Emotionalität aufspürt und dabei immer wieder mit überraschenden Wendungen aufwartet, die den Blick in ständig neue Richtung lenken. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UN BAISER S'IL VOUS PLAÎT
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
K Films Amerique/Moby Dick Films/Procirep/Angoa-Agicoa/CNC/TPS Star/arte France Cinéma
Regie
Emmanuel Mouret
Buch
Emmanuel Mouret
Kamera
Laurent Desmet
Schnitt
Martial Salomon
Darsteller
Virginie Ledoyen (Julie) · Emmanuel Mouret (Nicolas) · Julie Gayet (Emilie) · Michaël Cohen (Gabriel) · Stefano Accorsi (Claudio)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
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Diskussion
Pars pro toto. Einst endeten viele klassische Filme mit einem versöhnlichen Kuss, der eine glückliche Auflösung der Konflikte und eine güldene Zukunft der Liebesleute symbolisieren sollte. Moderne Zeiten: Ein Kuss, schon ein ernsthaftes Nachdenken über die Möglichkeit eines Kusses – und die Welt gerät aus den Fugen. Moralisch-ethische Abgründe tun sich auf, und die Aussicht auf ein reines, unschuldiges Vergnügen zerstiebt in alle Winde. Als sich Emilie und Gabriel eines Tages zufällig in Nantes begegnen, verbringen sie einen schönen Abend miteinander. Zum Abschied möchte Gabriel Emilie gerne küssen, ganz harmlos und unverbindlich, klar, sie jedoch verweigert einen Kuss, deutet aber zugleich an, dafür ihre guten Gründe zu haben. Jetzt ist Gabriel neugierig geworden – und so erzählt Emilie die Geschichte von Julie und Nicolas, die einmal die besten Freunde und Vertrauten waren, bis sich Nicolas eines Tages von seiner Geliebten trennte. Nicolas empfand darauf einen körperlichen Mangel, den keine die Distanz professionell wahrende Prostituierte zu stillen wusste, so bohrend, dass er verzweifelt seine Freundin Julie bat, ihm doch in aller Freundschaft Linderung zu verschaffen. Natürlich verändert Sex die Freundschaft, fragt sich nur, in welche Richtung jetzt gedacht werden muss. War die Freundschaft zuvor zu mutlos? Oder verändert Sex die Gefühle? Nicolas, ein etwas linkischer Mathematiklehrer, und Julie, die in Labors gerne einen interessierten Blick über Reagenzgläser schweifen lässt, müssen reden, handeln, experimentieren, diskutieren, Abgründe ausloten. Was geschieht, wenn man den Sex noch einmal unter veränderten Umständen wiederholt? Spontaner, unbequemer als beim ersten Mal? Was, wenn es dann noch toller ist? Soll man jetzt von Liebe sprechen? Aber liebt Julie nicht auch ihren Freund Claudio? Nie könnte sie Claudio verlassen, weil ihm dies das Herz bräche. Wie aber, wenn Claudio sich selbst in eine andere Frau verliebte? Dann würden sich Julie und Claudio trennen müssen, und der Weg wäre frei für die neue Liebe. Das Problem: Leider hat Claudio keine Augen für eine andere Frau. Könnte man da nicht nachhelfen? Vielleicht, wenn man eine Begegnung zwischen Claudio und Câline, Nicolas’ Ex, arrangierte? Schließlich kennt Julie die Vorlieben Claudios aus dem Effeff, man könnte Câline also gewissermaßen für die Liebe trainieren. Man möchte meinen, der Filmemacher, Drehbuchautor und Hauptdarsteller habe sich mit „Küss mich bitte!“ daran gemacht, Niklas Luhmanns komplexe, ausgesprochen weitsichtige Studie „Liebe als Passion“, in der Hunderte von Drehbuchideen zu entdecken sind, als dialogstarke Salonkomödie zu verfilmen. Es geht hier um Gefühle, zu große Gefühle, zu kleine Gefühle, falsche Gefühle, manipulierte Gefühle und ihre Abschattierungen in Zwischenbereiche. Man wird Augen- und Ohrenzeuge einer weit ausholenden und höchst vergnüglichen reflexiven Bewegung, die zugleich ein so elegantes wie ausgekochtes Spiel mit Erzählebenen und -perspektiven ist. Emilie erzählt eine exemplarische Geschichte, um eine Fehlhandlung begründet verweigern zu können. Doch genau diese Erzählung führt zu immer intimeren Verwicklungen. Dann flicht Gabriel seinerseits eine Erzählung ein, während Nicolas, eine Figur aus Emilies Erzählung, seinerseits zu erzählen beginnt. Spätestens wenn die frisch Verliebten versuchen, Claudio zu manipulieren, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, und Claudio zufällig Zeuge der gegen ihn gerichteten Intrige wird, steckt man mitten in den abstrakten Grundzügen einer Kriminalgeschichte, die gleichzeitig die Auslöschung bzw. Umcodierung einer Liebesgeschichte ist. Wobei auch die Intrige und ihr katastrophaler Fehlschlag in Laufbilder mit Off-Kommentar überführt werden, obschon sie doch logischerweise mindestens zwei weitere Erzähler bräuchten. Was soll man dazu sagen, wenn Claudio seinerseits das Spiel mitspielt, obwohl er die Intrige, die ihn schützen soll, durchschaut hat, um Julie nicht zu verletzen? Er ist es, der Câline vorwirft, dass man, um Scham vor dem eigenen Handeln zu empfinden, zunächst einmal ein Herz benötige. Die Figuren in „Küss mich bitte!“ agieren mit kindlicher Unschuld, mal unbeholfen, mal neugierig, mal aus guten Stücken das Böse forcierend. Die „Diskurse der Empfindsamkeit“ (Nikolaus Wegmann) halfen um 1800 dabei, Intimität so zu codieren, dass man über sein Innerstes kommunizieren konnte. Wie viel Arbeit dies kostet, zeigt Emmanuel Mourets Film ebenfalls. Mouret macht keinen Hehl aus seiner Liebe zu den „moralischen Erzählungen“ Eric Rohmers, aber auch nicht aus seiner Verehrung für Pierre Richard. Liebenswert unbeholfen sind die Figuren, die hier den Abgründen ihrer Emotionalität nachspüren. Der Film wirkt zunächst wie eine sehr reduzierte, fast karge Abfolge von Dialogen. Schaut man genauer hin, registriert man eine Vielzahl von Blicken und Miniaturen, die die zentralen Diskurse des Films spiegeln und variieren. Am Schluss hält er außerdem einige schöne Volten bereit, die belegen, dass die Liebe unberechenbar ist. Um es mit Hot Chocolate zu sagen: „It started with a kiss, I never thought it would come to this.“ Jeder Kuss beinhaltet das Versprechen auf ein anderes, glücklicheres Leben; und reichlich Stoff für Katastrophenfilme, denn Körper kann man nicht kontrollieren, sondern, so wie es Emilie versucht, bestenfalls von vornherein die Spielregeln festlegen. Ein letzter Blick in ihr Gesicht dokumentiert das grandiose Scheitern ihres Planes. Weiter geht’s!
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