Israel im Sommer 1974: Ein Junge rettet seine psychisch labile Mutter vor der Zwangsintegration in einem Kibbuz, übernimmt selbst Verantwortung und hilft ihr, ihre Teilnahmslosigkeit zu überwinden. Die im Grunde vertraute Geschichte über Pubertät, Selbstvergewisserung und Abnabelung dekonstruiert reizvoll die soziale Utopie des Kibbuz und spiegelt die Konflikte in der israelischen Gesellschaft. Ebenso nuancenreich wie die atmosphärische Lichtsetzung sowie die Farb- und Bildkomposition ist dabei das Spiel der Hauptdarsteller.
- Ab 16.
Sweet Mud
Drama | Israel/Deutschland/Frankreich/Japan 2006 | 102 Minuten
Regie: Dror Shaul
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Filmdaten
- Originaltitel
- ADMA MESHUGA'AT | SWEET MUD
- Produktionsland
- Israel/Deutschland/Frankreich/Japan
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Cinephil/Heimatfilm/Sirocco Prod./Tu Vas Voir Prod.
- Regie
- Dror Shaul
- Buch
- Dror Shaul
- Kamera
- Sebastian Edschmid
- Musik
- Tsoof Philosof · Adi Rennert
- Schnitt
- Isaac Sehayek
- Darsteller
- Tomer Steinhof (Dvir) · Ronit Yudkevitch (Miri) · Henri Garcin (Sephan) · Shai Avivi (Avraham) · Gal Zaid (Shimshon)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das Geräusch ist da, bevor Bilder zu sehen sind. Kein schönes Geräusch, ein leises Krachen und Splittern, wie schnelle Risse in der Wand. Kurz ist zwischen den Titeln zu Beginn die Auflösung zu sehen, ein Junge beißt in einen großen Lutscher und zermahlt die Bruchstücke zwischen seinen Zähnen. Es ist ein Bild vom Ende des Films, auch eine Metapher für das, was zum Schluss geschieht und nicht gezeigt wird. Kissen und Decke hinter dem Kopf des Jungen sind türkisgrün, sein Lutscher ist rot, das Hemd orange: Komplementärfarben, die im Verlauf immer wieder aufgegriffen werden.
Eigentlich gilt Dror Shaul in Israel als Spezialist für Komödien; in seinem ersten, 50-minütigen Film „Operation Grandma“ gewann er dem Leben im Kibbuz komische Seiten ab. Mit „Sweet Mud“ zeigt er vor dem gleichen Hintergrund, dass er auch das Melodrama beherrscht. Shaul, ebenso Drehbuchautor wie Regisseur seiner Filme, ist selbst im Kibbuz aufgewachsen. In „Sweet Mud“ rechnet er mit dem Leben in der Gemeinschaft nach sozialistischen Grundsätzen ab, was es wenig wahrscheinlich erscheinen lässt, dass der neue Film unter Kibbuzniks ähnlich wie „Operation Grandma“ als Kultfilm gehandelt wird. Es ist dabei nicht so, dass Shaul das Schöne und Positive verschweigt, wenn er das Ende der Kindheit in dem Coming-of-Age-Drama des Jungen Dvir erzählt. Dvir lebt mit seiner Mutter und seinem großen Bruder in einem Kibbuz. Die Geschichte beginnt im Sommer 1974, vor staubgelben Feldern. Drachensteigen, Streiche, Geschwisterliebe, die erste Liebe – eingebettet in die vier Jahreszeiten als Zeitrahmen, innerhalb dessen sich der Film und damit Dvirs Erwachsenwerden erstreckt. Er schläft wie die anderen Kinder im Kinderhaus, seine Mutter besucht er meist tagsüber. Der Vater ist vor Jahren unter Umständen gestorben, die vor Dvir geheim gehalten werden. Seiner Mutter Miri geht es nicht gut, sie ist psychisch instabil; die Gemeinschaft reagiert auf ihre Andersartigkeit mit Zwangsintegration. Nach einem kurzen Glück mit ihrem neuen Freund aus der Schweiz, der bald aus der Gemeinschaft des Kibbuz ausgeschlossen wird, verfällt sie mehr und mehr in einsame Teilnahmslosigkeit. Schritt für Schritt beginnt Dvir, Verantwortung für seine labile Mutter zu übernehmen. Sehr zärtlich, so sentimental wie präzise schildert Shaul die Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Der deutsche Kameramann Sebastian Edschmid findet berückende Bilder für die Unbeschwertheit der Kindheit wie für das Leiden, den Schmerz von Mutter und Sohn. Ganz weich gelingen ihm die Übergänge von Hell zu Dunkel, von Süß zu Bitter: Wenn Dvir mit seinem Freund in den Feldern heimlich raucht, sind die Aufnahmen sonnendurchflutet, die Gesichter erstrahlen im Licht. Wenn der Krankenwagen Miri in die Psychiatrie fährt, erscheint die Landschaft im Morgengrauen wächsern erstarrt. Ebenso nuancenreich wie die atmosphärische Lichtsetzung, Farb- und Bildkomposition ist das Spiel der Hauptdarsteller Tomer Steinhof und Ronit Yudkevitch. Blicke, Andeutungen und Gesten, die manchmal ins Leere laufen, stützen die Dialoge oder strafen sie Lügen. „Sweet Mud“ ist im Grunde eine altmodische Geschichte über Pubertät, Selbstvergewisserung, Abnabelung und Verantwortung, die durch den exotischen Hintergrund des Kibbuz, durch die Dekonstruktion einer Utopie gewinnt. Sie spiegelt nicht zuletzt im Privaten die Zerrissenheit, die Konflikte der israelischen Gesellschaft wider.
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