Autobiografisch gefärbter Dokumentarfilm über eine Kindheit in den 1970er-Jahren, die von antiautoritärer Erziehung, Friedensdemonstrationen und linkem Gedankengut geprägt war. Ein um Süffisanz und ironisierenden Humor bemühter Film, der nicht als Abrechnung gedacht ist und dennoch Widersprüche im Weltbild der Erziehungsberechtigten sichtbar macht. Insofern findet keine kritische Auseinandersetzung statt, vielmehr werden um sich selbst kreisende Erinnerungen beschworen, die vor allem die Bedürfnisse einer Spaß-Generation befriedigen.
- Ab 14.
Lenin kam nur bis Lüdenscheid - Meine kleine deutsche Revolution
Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 90 Minuten
Regie: André Schäfer
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Florianfilm/WDR
- Regie
- André Schäfer
- Buch
- Richard David Precht
- Kamera
- Bernd D. Meiners
- Musik
- Ritchie Staringer
- Schnitt
- Fritz Busse
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Die Welle der Kindheitserinnerungen der in den 1970er-Jahren sozialisierten End-Dreißiger scheint immer noch nicht vorbei. Nach Florian Illies genreprägendem Bestseller „Generation Golf“, Jana Hensels DDR-Jugendmemoiren „Zonenkinder“ und diversen Nachwehen fehlte noch die Selbstbespiegelung eines Öko-Kindes. Das lieferte 2006 der Journalist und Autor Richard David Precht mit seinem autobiografischen Buch „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ nach. Weil die Thematik bestens in die diesjährigen 1968-Festspiele passte, griffen der WDR, SWR und die Filmstiftung NRW sogleich zu und ließ den Stoff vom Autor – der gerade mit seinem neuen Buch „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“ einen Bestseller gelandet hat – und einem erfahrenen Kompagnon, dem Dokumentarfilmregisseur André Schäfer, verfilmen. Das Ergebnis ist weniger ein kritischer Rückblick auf eine Kindheit im westdeutschen DKP-Milieu als ein gefälliger, auf leichte Unterhaltung setzender Gegenentwurf zu Florian Illies. Von der Machart her erinnert die dokumentarische Aneinanderreihung von privaten Familienfilmen und historischem Material an ähnlich angelegte Kindheitsszenen aus „Goodbye, Lenin!“ (fd 35 817), woran auch die endlos vor sich hin plätschernde Untermalung à la Yann Tiersen, mit Klavier und Glockenspiel, nicht unschuldig ist. Dazu kommentiert der 1964 geborene Autor mit grotesk kindlich verstellter Stimme und ganz aus dem Blickwinkel eines kleinen Jungen die Kuriositäten seines sonderbaren Elternhauses. Das ist auf die Dauer nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern auch ermüdend, fehlt dem infantilen Ton doch jede Subversion; der Humor ist so harmlos gestrickt, wie er gerade bei einem Kind noch durchgehen kann.
Im spießigen Solingen im Bergischen Land hält der kleine Richard die DDR für das beste Land der Welt, verbringt seine Ferien im DKP-Zeltlager in Lüdenscheid, darf das kapitalistische Fernsehen nicht gucken, und einen Taschenrechner halten seine linientreuen Eltern auch für Teufelszeug. Wenn sie nicht gerade Kinder aus Vietnam adoptieren und deswegen gleich vier Mal ein gerührtes Fernsehteam des WDR empfangen dürfen, erziehen sie mitten im Wohlstandsjahrzehnt ihre Kinder antiautoritär, schließen sich der Anti-Atom-Bewegung an und landen irgendwann enttäuscht von der RAF bei den Grünen. Das Träumen nimmt für Richard David Precht wie für viele linke Fundamentalisten erst 1989 ein Ende. Mit 24 Jahren bricht sein ideologieseliges Weltbild zusammen. Was Florian Illies sein Playmobil-Spielzeug, ist Richard das strategische Spiel Provopol, bei dem wild entschlossene Revolutionäre Richter und andere Staatsdiener zu kidnappen haben. Aufnahmen von Ensslin und Baader wechseln sich ab mit anderen Helden der 1970er-Jahre: Netzer und Beckenbauer. Letztere stehen für Precht aber auf der falschen Seite vom linken Gut-Böse-Schema. Er schwärmt lieber für Oleg Blochin, dem Linksaußen von Dynamo Kiew, der die Mannschaft von FC Bayern München mit kommunistischem Furor zu besiegen vermochte. Der langen Liste dem Zeitgeist geschuldeter „feiner Unterschiede“ seiner Sozialisation stellt Precht unzählige Archivbilder von autonomen Hausbesetzungen, Friedensdemos und anderen alternativen Phänomenen der frühen 1980er entgegen, die man mal kopfschüttelnd, mal amüsiert betrachtet. Sie sind der eigentliche Gewinn des Films, der zwar nicht wehmütig, aber bei aller bemühten Süffisanz aber auch nicht als Abrechnung gedacht ist. Stellung möchten die 68er-Kinder nun mal nicht beziehen, noch nicht mal gegen ihre von Weltverbesserung besessenen, in unzählige Widersprüche verwickelten Eltern. Für narzisstische Überlängen bleibt jedoch immer noch genug Raum, wenn die Kamera endlos Prechts Sohn in Großaufnahme zeigt oder den Autor selbst, der in seiner Schule in der Sporthalle herumturnen darf oder mit seinem alten Mathematiklehrer inmitten einer Wiese über die alten Zeiten plaudert. So politisch unreflektiert sich seine Eltern nach einem „Totalitarismus light“ sehnten, so willig bedient der Sohn seine ironieverliebte und notorisch um sich selbst kreisende Spaß-Generation. Somit schafft er, wenn auch vielleicht unfreiwillig, ein perfektes Zeitbild der 1990er-Jahre. Deutschland im Jahr 2008 ist längst weiter.
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