„Hattest Du auch schon einmal das Gefühl, beobachtet zu werden?“, fragt der Bürgermeister von Hu-Heim seine Frau und spricht in jenem aus Invasionsfilmen vertrauten Wir-sind-nicht-allein-Ton. Klar, jeder kennt dieses Gefühl, aber die Idee, dass ihre Welt nur ein Staubkorn sein soll, auf eine Blume geheftet – nein, dieser Gedanke scheint der Bürgermeisterfrau abwegig. Als ihr Mann auch noch von einem gigantischen Elefanten faselt, der Blume samt Hu-Heim durch ein Universum namens Dschungel trägt, empfiehlt die First Lady dem Angespannten eine Mütze voll Schlaf. Ein gefährlicher Ratschlag. Der Bürgermeister redet wirr, aber wahr! Hu-Heim, eine hochtechnisierte Zivilisation mikroskopisch kleiner Fellwesen, trudelt der Apokalypse entgegen, seit der Nanoplanet aus geschützter Höhlenumgebung in den Regenwald geschleudert wurde. Obwohl sich der herzensgute Elefant Horton nach Kräften bemüht, den bevölkerten Blütenstaub in Sicherheit zu bringen, ist seine Mission durch die Ignoranz seiner Dschungel-Mitbewohner bedroht.
Zwei Welten, die zarte Bande knüpfen: Die Kinderbuchvorlage „Horton Hears a Who“ stammt vom amerikanischen Autor und Zeichner Dr. Seuss (1904-91), in Europa vor allem als Erfinder des grünlichen Grinch bekannt, der Weihnachten hasst und in der Filmversion
(fd 34 578) von Jim Carrey gespielt wurde. Im Animationsabenteuer „Horton hört ein Hu“ ist Carrey ebenfalls mit von der Partie, in der Originalfassung leiht er dem umtriebigen Elefanten die Stimme. In seiner Rettungsaktion für die kleinste aller Welten setzt Horton Rüssel und Ohren als Multifunktionswerkzeuge ein. Wie schon in Dr. Seuss’ Originalzeichnungen sehen seine Lauscher wie Engelsflügel aus. Hortons sechster Sinn fürs Verborgene, das in allen Dingen schlummert, ruft seine Feinde auf den Plan: Als Gegenspielerin fungiert vor allem ein pragmatisches Buschkänguru. Ihr Sohn im Beutel darf ebenso wenig flügge werden, wie Frau Känguru den Dschungelbewohnern selbstständiges Denken zugestehen mag. „Was du nicht sehen, hören oder fühlen kannst, existiert nicht“, predigt die Demagogin. Gegen den Geschichtenerzähler Horton, der einen bunten Haufen von Anhängern um sich schart, geht Frau Känguru mit inquisitorischer Energie vor. Nur um ein Haar misslingt es ihr am Schluss, den gesamten Dschungel gegen Horton aufzuhetzen und ihn als Ketzer hinrichten zu lassen. Mit solchen Szenen ist der ungemein dichte, anspielungsreiche Film gewiss nicht mehr für die ganz Kleinen im Vorschulalter geeignet wie noch das Buch.
Es ist bemerkenswert, wie das Animationskino neuerer Prägung philosophische, politische oder ökologische Fragestellungen zu integrieren vermag. Trotz überbordender Action und visueller Verführungskraft schimmert in „Horton hört ein Hu“ das aufklärerische Moment der alten Gattung „Tierfabel“ durch. Dabei geht es nicht nur um die vom Titelhelden am Schluss hinaustrompetete Moral „Wesen sind Wesen, egal wie klein sie sind“; vielmehr werden spielerisch auch kritische Blicke auf verschiedene Möglichkeitsformen des Zusammenlebens geworfen: Während der Dschungel vordemokratische Züge aufweist, erinnert Hu-Heim an moderne westliche Staaten – gleichzeitig aber auch an deren bürokratische Auswüchse und eine gegenüber äußeren Gefahren ziemlich unbekümmerte Spaßgesellschaft. Die Story springt zwischen groß und klein, zwischen Regenwald und „Mikronesien“ hin und her. Strukturell beherrschendes Prinzip ist die Parallelmontage, die mit bewundernswerter Perfektion durchgehalten wird. Da zwischen Horton und dem winzigen Würdenträger ein visueller Kontakt unmöglich ist, kommunizieren sie durch das Nadelöhr eines geplatzten Abflussrohrs am Balkon des Bürgermeisters, was in der surrealen Gesamtanlage des Films wunderbar funktioniert. Dass dabei eine Menge an Nebenfiguren eingeführt wird, die für kleine Zuschauer nicht ganz einfach zu überschauen ist, nimmt man angesichts des überbordenden Einfallsreichtums gerne in Kauf. In letzter Minute wird noch ein gutes Dutzend Hu-Charaktere etabliert: Allein der Bürgermeister ist stolzer Vater von 96 Töchtern, die beim Mittagessen auf einem Förderband an ihm vorbeiziehen, damit er den Überblick behält. In seinem scheinbar missratenen einzigen Sohn Jojo steckt ein Erfindergenie: Dessen „Höllenlärmmaschine“ überzeugt am Ende auch alle anderen „da draußen“ davon, dass Hu-Heim wirklich existiert. Womit Jojo nicht nur seinem Völkchen das Leben, sondern auch Horton die dicke Haut rettet. Im Verein mit Horton sind die Kinder dieses Films den Erwachsenen um Längen voraus, und auch unterdrückte Kängurukinder können weit über den Beutelrand gucken, springen irgendwann ins Leben heraus und stehen ihren Freunden bei – ob es Übermutter Känguru nun passt oder nicht.