Bird's Nest - Herzog & de Meuron in China

Dokumentarfilm | Schweiz 2007 | 86 Minuten

Regie: Christoph Schaub

Dokumentarfilm über Konzeption und Entstehung des Pekinger Olympiastadions. Der Film schildert die vier Jahre, in denen sich das Basler Architektenbüro Herzog & de Meuron bemühte, technische Hürden zu überwinden, vor allem aber kulturelle Eigenheiten Chinas zu verstehen, um für die Akzeptanz des Baus zu werben, während die chinesischen Funktionäre sich oft kompromisslos zeigten. Ohne manipulativ zu wirken, veranschaulicht der Film auch, dass von westlicher Seite in der Zusammenarbeit mit China wirtschaftliche Aspekte deutlich schwerer wiegen als das Interesse an Menschenrechten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BIRD'S NEST - HERZOG & DE MEURON IN CHINA
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
T&C Film/Schweizer Fernsehen/TSR TSI/SRG SSR idée suisse
Regie
Christoph Schaub · Michael Schindhelm
Buch
Christoph Schaub · Michael Schindhelm
Kamera
Stéphane Kuthy · Matthias Kälin · Christoph Schaub
Musik
Peter Bräker
Schnitt
Marina Wernli
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Veröffentlicht am
03.01.2008 - 13:54:27
Diskussion
China ruft, und alle kommen. Schon die Teilnehmer der Architekturwettbewerbe, die anlässlich der Olympiade ausgeschrieben wurden, vermittelten diesen Eindruck. Rem Koolhaas baut dem staatlichen Fernsehen einen gigantischen Doppelklotz aufs Olympia-Gelände, Jean Nouvel hat sich fürs Stadion beworben, die Zusage aber haben die Basler Herzog und de Meuron erhalten. Der Film beschreibt über vier Jahre die Entstehung der zentralen Sportstätte von den ersten Entwürfen bis zur Fertigstellung und zeigt vor allem, welche kulturellen Hürden zu nehmen waren. Dabei haben die erfahrenen Schweizer Filmemacher Christoph Schaub und Michael Schindhelm immer beide Seiten im Blick: einerseits die schweizerische, westliche, die alles tut, um die chinesische Kultur zu verstehen und sich dafür den Kunstsammler Uli Sigg und den Künstler Ai Wei Wei ins Boot holte: andererseits die chinesische, wo es vor allem die Funktionäre sind, mit denen sich das Architektengespann herumschlagen muss, in Machtspielen, wie sie sicher auch in Demokratien, besonders aber in einer Diktatur vorkommen. Jacques Herzog und Pierre de Meuron sind mit kontextuellem Bauen berühmt geworden. Ihre Firma mit 270 Angestellten weltweit steht nicht für Solitäre, die die Umgebung beherrschen, sondern für eine Arbeit, die immer „bei Null“ anfängt, wie Sigg es im Film beschreibt, mit dem Ziel, sich dieser Umgebung anzupassen und sich zugleich von ihr zu emanzipieren. So soll das Stadion eine begehbare Skulptur werden, wo sich die Menschen auch nach den Spielen gerne aufhalten, ganz so, wie sie ihr Tai Chi in Parks oder unter Arkaden betreiben. Dass das gehen kann, auch wenn die 60 Meter hohen Stahlträger etwas anders wirken als die traditionellen Holzarkaden, sollen am Ende des Films Überblendungen zwischen Stadion und tanzenden Chinesen suggerieren. Seine „chaotische“ Stahlkonstruktion, wie de Meuron sie nennt, die erstaunlich luftig und leicht wirkt, brachte dem Entwurf den Spitznamen „Vogelnest“ ein, eine Bezeichnung mit neutraler, tendenziell positiver Aufladung. Schon hier zeigt sich ein Erfolg der Zusammenarbeit mit dem Künstler Ai und dem Sammler Sigg, die selbst fürs Brückenbauen stehen – ersterer war Teilnehmer der jüngsten „documenta“, letzterer langjähriger Botschafter der Schweiz in China. Böse verkalkuliert hat sich hingegen der französische Mitbewerber Jean Nouvel. Dessen Stadion-Entwurf war eine Art „grüne Schildkröte“, was in China als Metapher fürs Hörner aufsetzen steht, wie ein Funktionär erklärt. Um das Konzept des Vogelnestes durchzusetzen, brauchten die Architekten nicht nur Überredungskunst, auch um die gigantischen technischen Herausforderungen zu meistern, sondern Verständnis für chinesische Eigenheiten, wie de Meuron, der Hauptverhandler mit den Chinesen, erfahren musste. Das sprichwörtliche Gesicht-Verlieren war weniger das Problem als die ständigen Provokationen, mit denen er sich konfrontiert sah – bis er das Spiel durchschaute und mitspielte. Die chinesischen Bauherren in dunklen Anzügen vor ihren Mao-Porträts und holzverschalten Wänden reden zu hören, ist dabei weitaus interessanter, als es zunächst scheint. Denn weder der Leiter der Baubehörde Pekings noch der von Jinhua, wo die Basler nebenher eine ganze Stadt errichten sollen, lassen einen Zweifel daran, wer wem zu dienen und wer wessen Wünsche zu befriedigen hat. So setzten sich Herzog und de Meuron verschiedenen Zugkräften aus, den kulturellen, politischen und auch sozialen, wenn man an die Unmenge von Wanderarbeitern denkt, die Stadion wie Stadtprojekt realisieren (sollen). Was die Frage aufwirft, wie die Architekten es mit der Diktatur halten. Herzog findet es „arrogant“, von den Chinesen Demokratie zu verlangen, bevor man ihnen etwas baue, ja die Diktatur beschleunige sogar Mega-Bauprojekte wie seine. Nun ist der Film nicht kritisch angelegt, er lässt Aussagen stehen, hakt nicht nach, keine Fragen sind je zu hören. Nur einige Meinungen relativieren die reine Projektbezogenheit, wie Ai Wei Weis Ablehnung von Olympia und Nationalismus oder die eines Pekinger Professors, der Kritik an der „Vergötzung der Avantgarde“ durch unwissende Politiker übt. Aber schon die geschickte Zusammenstellung der Stimmen genügt, um sich als Zuschauer bar jeglicher Manipulation ein Bild machen und selbst über die Ethik des Bauens in der Diktatur urteilen zu können. An Herzog und de Meuron ist abzulesen, wo im Westen die Prioritäten liegen, nämlich darin, Aufträge zu erhalten, weshalb man zu weitgehenden Kompromissen bereit ist. Dass kleine wie große Firmen aus Deutschland mit staatlicher Unterstützung nach China expandieren, ohne sich Gedanken um Menschenrechte zu machen, relativiert ihre Aussage nicht, sondern zeigt im Gegenteil deren Brisanz. Auf der anderen Seite wird greifbar, wie wenig kompromissbereit die Chinesen sind, auf geschäftlicher und erst recht auf politischer Ebene.
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