David lebt mit seiner Familie dort, wo die Natur noch zu spüren ist, in einem schönen Haus am See, die beschauliche Kleinstadt gleich in der Nähe. Doch wo so viel Natur ist, muss man auch schon einmal mit Konsequenzen rechnen. Ein Sturm, der über die Weite des ansonsten eher stillen Gewässers tobt, richtet beträchtlichen Schaden an, aber nichts, was nicht reparabel wäre – oder doch? Stunden danach ist vom Unwetter nur noch ein unerklärlicher Nebel geblieben, der sich allmählich vom anderen Ufer Richtung Stadt bewegt – von dort, wo auch das Militär einen Stützpunkt hat. Eigentlich wollte David nur kurz mit seinem Sohn einkaufen, vielleicht noch den kleinen Versicherungsfall mit dem Bootshaus regeln; doch als die beiden den Supermarkt erreichen, häufen sich die Polizeisirenen. Militär und Feuerwehr sind ungewohnt geschäftig, Soldaten werden zum Dienst befohlen. Als sich dann der Nebel an der großen Fensterfront des Supermarkts staut und jegliche Sicht nimmt, wird es plötzlich still in der Stadt – totenstill.
Man kennt den stickigen Dunst, der alles einhüllt und böse Machenschaften verbirgt, aus Edgar-Wallace- und Jack-the-Ripper-Filmen. Man kennt ihn auch als „The Fog – Nebel des Grauens“
(fd 22 558), aus dem sich bei John Carpenter so effektvoll die Zombies samt Totenschiff materialisierten, um fürchterlich Rache zu nehmen. Auch bei Frank Darabont rächt sich etwas Monströses, von dem die Eingeschlossenen bislang nichts ahnten. „Der jüngste Tag“ scheint gekommen, so orakelt zumindest die leicht verblendete Mrs. Carmody, als die ersten „Ungläubigen“ in den Nebelschwaden des Supermarktparkplatzes verschwinden – für immer. Das, was von draußen herein will, und nur wenige, unter ihnen David, ungläubig und unter schmerzlichen Verlusten im Kühllager erblickt haben, passt zu den religiösen Wahnvorstellungen der einfältigen, aber charismatischen Frau. Als sich schließlich abends monströse Mücken an die hell erleuchtete Fensterfront setzen, fangen viele an, dieser lächerlichen Mrs. Carmody zu glauben. Der anfänglichen Panik weicht blinder Wahn, der ebenso gefährlich zu werden droht wie das, was im Nebel lauert.
Stephen King hatte schon immer den Hang zum Apokalyptischen. Dabei sind es, wie etwa bei „Es“, nicht immer Monster, die geschlagen werden können; Gegner, denen man Auge in Auge begegnet, wenn man sich seinen eigenen Ängsten stellt und Bünde schmiedet. Das Besondere, das mitunter mit dem Kingschen Grauen daherkommt, ist die Hoffnungslosigkeit. Wo andernorts das Happy End als Alternative denkbar ist, ist es bei King schon einmal fünf Minuten nach zwölf. King zwingt den Leser, die Apokalypse zu akzeptieren und doch um die Unversehrtheit der Figuren zu bangen. Die Welt, wie man sie kennt, scheint auch in „Der Nebel“ ausgelöscht, und der Mensch, bar jeglicher zivilisatorischer Errungenschaften, ist eingereiht in der Kette des Fressens und Gefressenwerdens. Frank Darabont hat bereits mit „Die Verurteilten“
(fd 31 221) und „The Green Mile“
(fd 34 096) bewiesen, dass man aus Stephen Kings Vorlagen kongeniale Kinofilme machen kann; nun hat er sich erstmals einem dezidiert Grauen erregenden Stoff des Autors gewidmet. „Der Nebel“ versprüht gleich auf zwei Ebenen tödliches Gift: zum einen als undefinierbare Gefahr, die von außen die Gemeinschaft bedroht und zusammenschweißt, zum anderen als definierbare Gefahr des degenerierenden Irrationalismus, der in Form eines religiös verbrämten Wahns von innen heraus wirkt, die Gemeinschaft destabilisiert und ins Chaos stürzt. Beides für sich inszeniert Darabont überzeugend, nicht ohne beide Ebenen zum nachhaltig wirksamen Schauerstück zu verbinden. Die Ebenen des Grauens potenzieren sich, gestützt durch eine mitunter starke schauspielerische Leistung (vor allem Marcia Gay Harden als Mrs. Carmody), dramaturgisch auf den Punkt gebrachte Schockeffekte und den nicht übermäßig künstlich wirkenden Einsatz von Spezialeffekten. Im Showdown erreicht der in vielen Details ausgesprochen radikale Horrorfilm schließlich eine beachtliche, für einen Mainstream-Film außergewöhnliche Dimension. Die augenblicklich auf Ekelqualen festgelegt dahinvegetierende Hollywood-Variante des Horror-Genres erhält durch „Der Nebel“ einen heilenden Stromschlag, und Darabont beweist, wie wichtig gute Handwerker für einen überzeugenden Unterhaltungsfilm sind.