Close-Up - Kurdistan

Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 105 Minuten

Regie: Yüksel Yavuz

Faktenreicher, mosaikartiger Dokumentarfilm zum türkisch-kurdischen Konflikt, der sich seinem Thema zunächst als persönlicher Reisebericht nähert, um schließlich in einen vielfältigen Diskurs zwischen Opferperspektive und intellektueller Analyse überzugehen. (O.m.d.U.) - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Peter Stockhaus Filmprod./mîtosfilm/WDR/ARTE
Regie
Yüksel Yavuz
Buch
Yüksel Yavuz
Kamera
Emre Erkmen
Musik
Kardes Türküler · Aynur Dogan
Schnitt
Özgür Tan
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Vor kurzem erhöhte die türkische Regierung erneut das Militärkontingent im Osten der Türkei und erteilte den Soldaten den Auftrag, kurdische Guerilla-Kämpfer auch über die Grenze zum Irak zu verfolgen. Damit erreichte der „schmutzige Krieg“, der seit 1984, als die kurdische PKK den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat annahm, andauert, einen weiteren Höhepunkt. Im Ausland schafft es der Konflikt, dem auf beiden Seiten nach inoffiziellen Schätzungen 100.000 Menschen zum Opfer fielen, inzwischen bestenfalls in die Fußnoten der gegenwärtigen Geschichtsschreibung. Mit Yüksel Yavuz („Kleine Freiheit“, fd 36 367) hat sich einer der profiliertesten deutschen Regisseure mit Migrationshintergrund an das Thema gewagt. Mit „Close up Kurdistan“ begibt sich Yavuz auf die Reise in seine Geburtsregion, die mit einem Besuch seiner Mutter im Dorf Cakan beginnt. Dort stöbert man gemeinsam in alten Fotoalben, und schon bald, wie auch bei Besuchen an anderen Orten, legt sich die Allgegenwart des Krieges bleischwer über die Familienerinnerungen. Jeder kennt jemanden, der im Krieg umgekommen ist, viele berichten von Folterungen, einige wurden zwangsumgesiedelt, ihre ursprünglichen Dörfer zerstört, manche verloren ihren Besitz an Nachbarn, denen die Denunziation Mittel zum Zweck war, um sich an den oft fälschlich Beschuldigten zu bereichern. Diese Opfer bleiben im kollektiven Gedächtnis haften wie die „Morde mit unbekannten Tätern“ an kurdischen Intellektuellen. Auch die Position von Yavuzs Landsleuten wird nicht beschönigt: mit parallel montierten Aufnahmen aus Einsätzen und Ausbildungslagern der türkischen Armee und der PKK-Guerilla wird auf den beiderseitigen Militarismus verwiesen, ein Zeitzeuge berichtet von Mitbewohnern, die wegen angeblichen „Verrats“ von der PKK ermordet wurden, ein anderer von der Teilnahme der Kurden am Völkermord an den Armeniern. Ein Bewohner eines kurdischen Dorfes, in dem vor den Pogromen des Jahres 1915 neben vielen christlichen nur zwei muslimische Familien wohnten, berichtet von den Alten, die auf die Frage nach dem „Warum“ geantwortet hätten: „Der Staat hat es befohlen, und dann wurden sie massakriert.“ In Diyarbakir findet Yavuz eine ehemalige christliche Kirche, die in eine Moschee umgewandelt wurde. „Close up Kurdistan“ erzählt durch das Prisma der Betroffenenperspektive von der multikulturellen Vergangenheit der Region, die durch die kemalistische Türkisierungspolitik vernichtet wurde. Er besucht eine der Internatsschulen, wie er sie selber absolviert hat und wo es nur zwei Wochen Ferien für den Familienbesuch gab – für ihn „Assimilationsanstalten“, die genauso der monoethnischen Staatsraison dienten wie die omnipräsenten Atatürk-Zitate an Hauswänden und Bergrücken. Dabei verrennt sich Yavuz’ Film zuweilen in geschichtsklitternden Pathos, etwa, wenn zu dem Bericht eines deutschen Ex-Guerillakämpfers das Stelenfeld des Berliner „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ kalkuliert ins Blickfeld gerät. Oder wenn am Schluss, einem Lehrfilm gleich, wesentliche Passagen des Films wiederholt werden. An solchen Stellen klingt eine Opfermythologie an, die vor dem Hintergrund des dargestellten Leids verständlich erscheinen mag, aber eine Tür für eigene nationalistisch geprägte Freund-Feind-Schemata öffnet. In einem Interview führt Yavuz aus, dass er auch versucht habe, türkische Soldaten vor die Kamera zu bekommen. Doch diese hätten aus Angst vor einem Strafverfahren wegen „Verrats von Militärgeheimnissen“ abgesagt, bis auf einen Soldaten und den Ex-Geheimdienstler Abdulkadir Aygan, der von den von seiner Gruppe eingefädelten Morden an kurdischen Oppositionellen erzählt. Es bleibt dem kurdischstämmigen Regisseur und seinen intellektuellen Protagonisten wie Ismail Besikçi, der wegen seiner Veröffentlichungen zum lange tabuisierten Kurden-Thema über 200 Gerichtsverfahren und 17 Jahre Gefängnis erdulden musste, und Orhan Miroglu, Vorstand der prokurdischen Partei der Demokratischen Gesellschaft und lange Zeit in dem berüchtigten Gefängnis von Diyarbakir inhaftiert, überlassen, auch türkische Positionen zu diskutieren. So werden etwa die jüngsten Ansätze Tayyip Erdogans positiv bewertet, allerdings die Frage aufgeworfen, inwieweit sich hier die Politik gegen die Militärs durchsetzen kann. Während die Kamera eine Region in Szene setzt, deren Landschaften darauf warten, zum Blühen gebracht zu werden, zieht sich durch die Interviews das Fazit von der Aussichtslosigkeit, den Teufelskreis der Gewalt beenden zu können. Es bleibt zu hoffen, dass „Close up Kurdistan“ von den Betroffenen nicht als Provokation interpretiert wird, sondern als das, was er sein will: ein faktenreicher Diskurs über einen vergessenen Krieg.
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