Wir sagen du! Schatz

- | Deutschland 2007 | Minuten

Regie: Marc Meyer

Ein 36-jähriger Junggeselle entführt kurz vor Weihnachten Personen als seine Ersatzfamilie, die er in einer Wohnung festhält, um mit ihr die Feiertage zu verbringen. Der Stoff, der Ausgangspunkt für eine ins Groteske und Absurde gesteigerte politische Parabel sein könnte, wird zur freundlich menschelnden Komödie verarbeitet. Dabei enthält das Spiel von Eintracht und Entfremdung als zwei Seiten einer familiären Gemeinschaft manche redundante Szene, findet aber auch zu starken poetischen Bildern. Insgesamt ein Film, der possenhaft grelle Übertreibungen meidet und eher leise zum Nachdenken über die Rolle und Bedeutung von Familie anregt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
miko-film
Regie
Marc Meyer
Buch
Marc Meyer
Kamera
Peter Polsak · Jan Reiber
Musik
Christian Biegai
Schnitt
Diana Karsten
Darsteller
Samuel Finzi (Oliver Eckstein/Papa) · Nina Kronjäger (Sofia/Mutti) · Anna Maria Mühe (Maya/Tochter) · Harald Warmbrunn (Horst/Opa) · Margot Nagel (Edna/Oma)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Es geht auf Weihnachten zu, und Oliver, ein 36-jähriger Junggeselle, erfüllt sich selbst seinen größten Wunsch: Er erschafft sich eine Familie, mit der er die Feiertage verbringen kann. Genauer gesagt: Er definiert sich selbst als „Papa“, betäubt Zufallsbekanntschaften auf der Straße mit Chloroform, klaut sich so „Mutti“, „Oma“ und Kinder zusammen und schleppt sie in eines der obersten Stockwerke eines leer stehenden Hochhauses. Dort hat er für alles gesorgt: Es gibt Schlafplätze, der Kühlschrank quillt von Lebensmitteln über, auf einer Wandtafel stehen die Regeln für eine Musterfamilie: Ehrlichkeit, Vertrauen, feste Essenszeiten. Nach dieser Ouvertüre läuft die filmische Versuchsanordnung vor allem in den vier Wänden der Plattenbau-Wohnung ab. Hier muss sich die gekidnappte Zwangsgemeinschaft zusammenraufen, denn das Treppenhaus ist zugemauert und, wie es aussieht, mit Sprengstoff vor Ausreißversuchen gesichert. Natürlich erinnert dieses Eingesperrtsein an reale gesellschaftliche Experimente, etwa das im Fiasko gescheiterte Vorhaben, innerhalb strikt bewachter Mauern eine „sozialistische Menschengemeinschaft“ mit postuliertem Glück für alle zu erschaffen. Aber Marc Meyer strebt keineswegs die große, ins Groteske und Absurde getriebene politische Parabel an, sondern eher die kleine, menschelnde Komödie. Das macht den Film braver, als er es sein müsste. Die Geheimnisse der Beteiligten sind schnell durchschaut: Dass „Mutti“ Sofia nicht die glückselige Manager-Ehefrau ist, die sie zu sein vorgibt, sondern eine einsame, von ihrer Kinderlosigkeit frustrierte, von ihrem Mann schließlich verlassene Frau, ist ebenso absehbar wie die Lüge, mit der sich „Oma“ Edna ins rechte Licht zu setzen versucht. Dass der neunjährige „Sohn“ Ennio an Stauballergie leidet und von seinen wirklichen Eltern stiefmütterlich behandelt wird, und dass das Neugeborene aus einer Babyklappe stammt, mutet didaktisch an. Überhaupt wird das Potenzial an Vereinsamung überreizt: Aus einer intakten Familienwelt, nach der man sich unter allen Umständen zurücksehnt, kommt jedenfalls keine der handelnden Personen. So tritt der Film nach furiosem Start gelegentlich auf der Stelle; nur selten gelingen überraschende szenische Momente, die das Wechselspiel zwischen Eintracht und Entfremdung als zwei Seiten einer familiären Gemeinschaft zu starken poetischen Bildern bündeln. Großartig ist zum Beispiel das Motiv des gemeinsamen Eislaufens auf dem Dach des Hochhauses, bei dem sich die sprichwörtlichen Fliehkräfte, die das Thema des Films mit konstituieren, zur Metapher verdichten. Ganz unbefriedigend dagegen das Finale, in dem Oliver die Recherchen zu seiner Weihnachtsfamilie im Auto verstaut, wobei erkennbar wird, dass er dieselbe Aktion seit vielen Jahren, nur jedes Mal in einer anderen Stadt, praktiziert. Diese Schlusspointe reduziert den Film auf das verschrobene Ritual eines skurrilen Einzelgängers und nimmt der Figur viel von ihren tragischen Tiefen. Ungeachtet all dieser Schwächen besitzt der Film dennoch das Potenzial für einen vergnüglichen Kinoabend. Samuel Finzi stattet Oliver mit wahnhafter Geschäftigkeit aus und skizziert allein mit seinem funkelnden Blick, aber auch bei dem verbalen Ausbruch, mit dem er die Biografie Sofias auf den Punkt bringt, wie verschmähte Liebe in Zorn umschlagen und radikale Wahrheit zu seelischen Verletzungen führen kann. Anna Maria Mühe stattet „Tochter“ Maya mit jugendlichem Ungestüm aus, wobei unter der rauen Schale starkes Anlehnungsbedürfnis sichtbar wird. Harald Warmbrunn als Nachbar und adoptierter „Opa“ stellt etwas zu viel DDR-nostalgisch unterfütterte Bärbeißigkeit zur Schau. Insgesamt fügen sich alle Darsteller zu einem Ensemble, das in Übereinstimmung mit der Regie eher zu leisen Tönen tendiert und grelle Übertreibungen umschifft.
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