Für Gott, Zar und Vaterland

Dokumentarfilm | Frankreich/Deutschland/Russland 2007 | 92 (Kurzf. 52) Minuten

Regie: Nino Kirtadze

In einem russischen Dorf baut ein selbsternannter Heilsbringer eine Kolonie für junge Leute auf, die hier Zucht und Ordnung lernen sollen. Während seine Untergebenen niedere Arbeiten ausführen, empfängt der Hausherr Würdenträger aus Parlament, Armee und Kirche. Der kommentarlose Dokumentarfilm offenbart die Gedankenwelten eines mächtigen Klüngels, die aus Ultranationalismus, der Ablehnung demokratischer Strukturen und der Beschwörung eines starken Führers gespeist sind. Über den konkreten Fall hinaus belegt der Film die Brüchigkeit der russischen Demokratie und die Gefahr eines radikalen Rechtsrucks. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AU NOM DE DIEU, DU TSAR ET DE LA PATRIE | DURAKOVO: LE VILLAGE DES FOUS
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Russland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Zadig Prod./ARTE France/MDR
Regie
Nino Kirtadze
Buch
Nino Kirtadze
Kamera
Jacek Petrycki
Musik
Gio Tsintsadze
Schnitt
Nino Kirtadze · Ruben Kornfeld · Rodolphe Molla
Länge
92 (Kurzf. 52) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Wer in Durakovo lebt, darf kein Mobiltelefon benutzen. Jeder Brief, der hier ankommt, geht über den Schreibtisch des Chefs. In Nino Kirtadzes Dokumentarfilm „Für Gott, Zar und Vaterland“ hört man zuerst nur dessen Stimme, ehe man ihn – in seiner ganzen Fülle – in einen Pool klettern sieht. Ja, dieser Michail Fjodorowitsch Morosow ist mit sich und der Welt zufrieden. Im Dorf hat er eine burgähnliche Kolonie errichtet, mit Mauern ringsherum und einem Hundezwinger. Russische Familien bringen ihre Söhne und manchmal auch Töchter hierher, damit sie, statt ihre Lebenszeit zu „vergeuden“, zu „echten Menschen“ werden. „Hier musst Du gehorchen“, sagt Morosow zu einem Neuankömmling, und beglaubigt seine Mission durch einen Verweis auf Gott: „Der Herr hat mich eingesetzt. Ihr habt die Pflicht, mir zu vertrauen.“ Seine Schäfchen, in militärischer Formation aufgestellt, jubeln ihm jeden Morgen entgegen: „Hurra! Hurra! Hurra!“ Der Film ist ohne Kommentar. Seine die Bilder entlarven den selbst ernannten Heilsbringer von allein, obwohl man sicher sein kann, dass Morosow dem Drehteam nur das von sich und seinem Imperium preisgegeben hat, was er auch wollte. Immerhin: Er muss sich ziemlich unangreifbar fühlen. Zu sehen ist ein doktrinär gesteuertes Universum, dessen Insassen die Straße fegen, Holz schneiden, den Stall ausmisten oder heißes Wasser schleppen, damit der Hausherr und seine Gäste in einem Zuber bei Minustemperaturen unter freiem Himmel baden können. Morosow empfängt illustre Freunde und Bekannte: Zum Veteranentreffen kommen Ex-Offiziere und Geheimdienstler; der Vizepräsident des russischen Parlaments lobt Putin für die Beschränkung der Presse- und Redefreiheit; ein Besuch des Metropoliten soll zur Bildung einer Front beitragen, die „Russland hilft, sich vom jüdischen Joch zu befreien, unter dem es seit 1917 leidet“. Der Morosow-Clan tritt höchst selbstsicher vor die Kamera und gibt seine demokratiefeindlichen Thesen im Brustton tiefster Überzeugung von sich. Das historische Russland, so heißt es, entspreche der gesamten Sowjetunion. Der Staat lechze nach einem starken Herrscher. Europa sei ein „Randgebiet“. Und: „Die NATO wird es schwer haben, wenn sie hierher kommt.“ Manchmal verlässt der Film die Kolonie und begleitet Morosow und seine Freunde zu anderen Treffen und politischen Auftritten, etwa beim Kongress der Partei „Volkswille“, auf dem „russische Waren für russische Märkte“ gefordert werden und Nichtrussen die Möglichkeit abgesprochen wird, im Land Unternehmen zu gründen. Die Gedankenwelten jenes mächtigen Klüngels, den Regisseur Nino Kirtadze im Visier hat, speisen sich aus ultranationalistischen Thesen, einer vollkommenen Ablehnung demokratischer Gepflogenheiten, militaristischen Strukturen für alle und alles und der Beschwörung eines starken Führers. Mit Gott und dem Zaren für ein streng hierarchisches Gemeinwesen, in dem wenige herrschen, aber viele dienen und zu gehorchen haben. Schön an diesem Film sind einige gleichnishafte Momente: Wenn Morosow seine Untergebenen auffordert, Fragen zu ihrem Leben in Durakovo zu stellen, und alle betreten schweigen, weist das nicht nur auf die Atmosphäre der Angst hin, die der Alleinherrscher in seinem Imperium erzeugt, sondern beschreibt auch, was der Gesellschaft droht. Wenn Morosow von Durakovo als „Symbol des Aufbaus unseres Landes“ schwafelt, zugleich aber nur zu sehen ist, wie sein privates Imperium wächst, offenbart sich wie unter einem Brennglas, was der Patriarch wirklich vom Allgemeinwohl hält. Auch das letzte Motiv des Films spricht Bände: Nachdem der junge Mann, der anfangs in die Kolonie gebracht wurde, wieder entwischt ist, blicken drei andere schweigend in die Kamera; dann schließt sich das Tor der Festung. Was „Mit Gott, Zar und Vaterland“ nicht zu leisten vermag, ist, die Bedeutung und reale Stärke des reaktionären Klüngels in der russischen Gesellschaft exakt zu umreißen. Aber der Einzelfall Durakovo vermittelt eine Ahnung, wie virulent dessen Gedanken sind, wie sehr sie die fragile russische Demokratie untergraben, und dass vom Parlament über die orthodoxe Kirche bis zu Armee und Geheimdienst alle staatstragenden Institutionen von dieser Art, Macht und Gewalt auszuüben, verseucht sind. Ein Film als Menetekel.
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