Johan - Eine Liebe in Paris im Sommer 1975

- | Frankreich 1975/1996 | 81 Minuten

Regie: Philippe Vallois

Als kurz vor Beginn der Dreharbeiten der junge Hauptdarsteller eines Films festgenommen wird, macht sich der Regisseur auf die Suche nach Ersatz in der Schwulen-Szene. Er trifft Freunde und Feinde des Inhaftierten, diskutiert, bekommt Ratschläge und erhält Einsichten. Einer der ersten französischen homosexuellen Spielfilme, der Einblicke in die dortige Schwulenkultur Mitte der 1970er-Jahre gibt und damit selbst ein historisches Dokument ist. Formal ambitioniert, wechselt eine krisselige Handkameraoptik mit sorgfältig ausgeleuchteten, tiefenscharfen Bildarrangements, bei denen Licht und Schatten oft gerade das kunstvoll verbergen, was in einem Pornofilm ausgestellt würde. Prüde gerät der Film deshalb aber auch über 30 Jahre nach seiner Zensur nicht.
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Filmdaten

Originaltitel
JOHAN - JOURNAL INTIME HOMOSEXUEL D'ÉTÉ A PARIS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1975/1996
Produktionsfirma
Vallois 2
Regie
Philippe Vallois
Buch
Philippe Vallois
Kamera
François About · Thierry Arbogast
Musik
Anton Bruckner
Schnitt
Marie Béhar · Philippe Vallois
Darsteller
Jean-Paul Doux (Legionär) · Philippe Vallois (Philippe Vallois) · Jean-Luc Duc (Sadist) · Patrice Pascal (Philippe 1) · Eric Guardagnan (Johan 1)
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18 (DVD)

Heimkino

Verleih DVD
Bildkraft (FF, DD2.0 frz.)
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Diskussion
Was vor 30 Jahren die Zensur auf den Plan rief, hat sich heute als Spartenkino etabliert. Schwule Sexszenen, wie sie in Philippe Vallois’ „Johan“ zu sehen sind, erschrecken wohl nur noch diejenigen, die nicht bemerkt haben, wie weit sich Filmemacher in den letzten Jahren in den Bereich des Sex-Filmens hineinwagten, ohne deshalb gleich Pornos zu drehen. Michael Winterbottoms „9 Songs“ (fd 36 870) ist jedenfalls um einiges expliziter – wenn auch in der heterosexuellen Variante – als „Johan“. Wenn der französische Film, der 1976 in der „Section parallèle“ in Cannes lief, anschließend in Frankreich nur in einer gekürzten und zusätzlich zensierten Fassung in die Kinos kam und 1996 durch einen Zufall vom Französischen Filmarchiv in der Ursprungsfassung gerettet werden konnte – und nun auch in ausgewählten deutschen Kinos einem interessierten Publikum in ungekürzter Version vorgeführt wird –, so hat das nichts Sensationsheischendes. Wer weiß, wie „oversexed“ schwule Filme bisweilen sind, der wird sich kaum auf ein vergleichsweise harmloses und großteils schwarz-weiß gefilmtes Kinoexperiment aus den 1970er-Jahren stürzen, um sein voyeuristisches Mütchen zu kühlen. Eher schon kann „Johan“ als Beleg für einen kulturellen Wandel herhalten, indem seine unterschiedliche Rezeption heute und damals die Erfolge der schwulen Emanzipationsbewegung belegt und verdeutlicht, wie sehr Sexualität und im Besonderen auch Homosexualität in den letzten Jahren enttabuisiert wurde – auch wenn Diskriminierungen keineswegs der Vergangenheit angehören. Vor allem aber bastelt „Johan“ mit einer formalen Verspieltheit, die zwischen experimentellem Kunstkino, Hardcore und scheinbar dokumentarischen Elementen changiert, eine außergewöhnliche Kinocollage, die Olivier Séguret in einer Besprechung in der französischen Tageszeitung „Libération“ etwas vollmundig, aber im Kern zutreffend, als „missing link“ des Schwulenkinos bezeichnet hat. Ein historisches Dokument stellt „Johan“ also dar: als filmisches Kunstwerk und indem es Einblicke in die französische Schwulenkultur Mitte der 1970er-Jahre liefert. Unter diesen Sedimenten kulturgeschichtlicher Ablagerungen wird dann endlich der eigentliche Film sichtbar, der sich in einer raffinierten Spiegelkonstruktion um sich selbst dreht. Ein Regisseur möchte einen Film machen, muss aber Ersatz für seinen Hauptdarsteller Johan suchen, der im Gefängnis sitzt. Johan ist zugleich der Geliebte des Filmemachers. Obwohl im Film ständig von ihm die Rede ist, tritt er nie selbst auf. Ein Gesicht erhält er nur indirekt in einer Sauna-Szene, in der Johans Zwillingsbruder Mann um Mann zurückweist, weil er nur mit seinem Bruder Sex haben möchte; im Grunde also mit sich selbst. So entwickelt sich „Johan“ zu einer sich spiralförmig um sich selbst drehenden Spurensuche: einmal nach dem Wesen der Pariser Schwulenszene mit ihren einschlägigen Treffpunkten und Codes, zum anderen nach Johan, dem sich der Filmemacher über Interviews mit Freunden und Bekannten annähert; ergänzt durch einen tagebuchartigen Erzählerkommentar und die farbigen Probeaufnahmen zum Film im Film. Handlung fungiert hier nur als Hilfskonstruktion, um die vor allem stilistisch stark variierenden Impressionen zusammenzuhalten. Eine krisselige Handkameraoptik wechselt sich ab mit sorgfältig ausgeleuchteten, tiefenscharfen Bildarrangements, bei denen Licht und Schatten oftmals gerade das kunstvoll verbergen, was im Porno ausgestellt wird. Prüde gerät „Johan“ deshalb aber auch über 30 Jahre nach seiner Zensur beileibe nicht.
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