ostPunk! too much future

Musikfilm | Deutschland 2007 | 96 Minuten

Regie: Carsten Fiebeler

Dokumentarfilm über sechs Menschen, die Anfang der 1980er-Jahre in der DDR als Punks ihre Identität fanden. Wer dort den anarchischen Aufruf zur Selbstermächtigung ernst nahm, hatte bald mit staatlichen Konsequenzen ungeahnter Härte zu rechnen. Binnen weniger Monate wurde die erste Generation von bekennenden Punk-Anhängern in der DDR kriminalisiert und aus der Öffentlichkeit verdrängt. Von den Interviewpartnern wurden vier zeitweilig inhaftiert, fünf verließen unter dem anhaltenden politischen Druck die DDR Richtung Westen. Der Film rekonstruiert das Lebensgefühl teils gelungen, teils zu sehr aufs Anekdotische verkürzt, weckt aber Neugierde auf das weithin unbekannte Kapitel ostdeutscher Jugend- und Protestkultur. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Egoli Tossell Film/Koppmedia/rbb
Regie
Carsten Fiebeler · Michael Boehlke
Buch
Henryk Gericke · Michael Boehlke · Carsten Fiebeler
Kamera
Robert Laatz · Daria Moheb Zandi
Schnitt
Anke Wiesenthal
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Punk lediglich als zeitgeistspezifisch-pubertäre Rebellion mit angeschlossenem Verwertungsapparat zu interpretieren, traut sich heute niemand mehr – und dies zu Recht. Punk ist nicht tot. Schlüsselwerke der Fachliteratur wie „Lipstick Traces“ von Greil Marcus (1989) und „England’s Dreaming“ von Jon Savage (1992) verweisen schon seit längerem auf den kulturhistorischen Impuls, der von der Punk-Revolte um 1976 ausgelöst wurde. Spätestens mit dem Punk-Kongress in Kassel 2004 hielt die Akademisierung und Musealisierung des Phänomens auch in Deutschland Einzug. Aktuelle DVD-Sampler wie „Berlin Super-80“ oder die neu editierten Arbeiten der Künstlergruppe Die Tödliche Doris, nicht zuletzt Jürgen Teipels Buch „Verschwende Deine Jugend“, der „Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“, deuten die ebenso komplexe wie nachhaltige Wirkung von Punk und verwandten Folgeerscheinungen hierzulande an. Im Osten Deutschlands gestaltete sich die Transformierung des Punk noch einmal ganz anders. Wer hier den anarchischen Aufruf zur Selbstermächtigung ernst nahm, hatte mit staatlichen Konsequenzen ungeahnter Härte zu rechnen. Obwohl die Punk-Bewegung quantitativ eher unbedeutend war, wurde sie doch von der Administration überraschend ernst genommen. Als die Welle etwas zeitversetzt ab 1979 über die Mauer nach Ost-Berlin und den Rest des Landes schwappte, trat die DDR gerade in ihr finales Jahrzehnt ein – die innenpolitische Erosion hatte bereits nach der Biermann-Affäre 1976 weite Teile der Gesellschaft erfasst. Mit dem Punk bot sich den kühnsten Vertretern der jüngsten DDR-Generation eine ideale Folie für maximale Verweigerung gegenüber staatlichen Reglementierungen. Ihr Auftreten wurde als die Provokation verstanden, als die sie auch gedacht war. Hatte zunächst noch Ratlosigkeit gegenüber den Punks vorgeherrscht, die keinem Schema von Subkultur zugeordnet werden konnten, setzte sich spätestens ab 1983 bei der SED und ihren ausführenden Organen eine restriktive Position durch. Bands wurden verboten, Punks auf offener Straße verhaftet, Freundeskreise vom Ministerium für Staatssicherheit unterwandert. Binnen weniger Monate war die erste Generation von bekennenden Punk-Anhängern in der DDR kriminalisiert und aus der Öffentlichkeit verdrängt worden. „ostPunk!“ stellt sechs Menschen ins Zentrum seiner filmischen Zeitreise, die auf unterschiedliche Weise persönlich in das historische Geschehen eingebunden waren. Der Film befragt die ehemaligen Punks nach ihren Motivationen und Erlebnissen. Archivmaterial und aktuelle Bestandsaufnahmen schlagen dabei eine Brücke über fast 30 Jahre jüngster deutscher Geschichte. Der Film bedient sich von Beginn an einer Sprache, die an den unsteten Habitus des Punk angelehnt ist. Statt einer herkömmlichen Exposition stürzt die Montage den Zuschauer umgehend in einen Strudel aus Bild- und Musikfetzen und dient kaum mit irgendwelchen Orientierungshilfen. Gerade mal die Gesprächspartner werden mit Bildunterschriften vorgestellt, einige Songtexte des besseren Verständnisses wegen eingeblendet. Die bruchstückhafte Bild-Ton-Collage resultiert auch aus der miserablen Materiallage, macht die Not des Mangels zur Tugend eines recht wirkungsvollen Medienpuzzles. (In den 1980er-Jahren der DDR waren Amateuraufnahmen im Super-8-Format zwar möglich, doch gab es nur sehr wenige Punks, die über eine entsprechende technische Ausrüstung verfügten. Auch fotografiert wurde bei Konzerten oder anderen Zusammenkünften selten.) Nun erleben die raren Quellen – Schmalfilmsequenzen, verfremdete DDR-Propagandafilme, statische und animierte Fotografien sowie Fragmente von MfS-Überwachungsmaterial – ihr Recycling, werden mit den aktuellen Gesprächen und viel Musik gemischt. Die Verbindungen der Gesprächspartner untereinander und zur Zeitgeschichte werden eher assoziativ verknüpft. In teilweise überlappenden Kommentaren beschreiben sie ihre Initiation zum Punk, die damit einhergehende Euphorie, die gruppendynamischen Entwicklungen, auch die zwischenmenschlichen Verquickungen und Leidenschaften. Ihre Erzählungen kulminieren in den Erinnerungen an die staatlichen Repressionen, denen sie alle ausgesetzt waren. Von den sechs Interviewten wurden vier zeitweilig inhaftiert, fünf verließen unter dem anhaltenden Druck die DDR Richtung Westen, laborieren teilweise noch heute an den psychischen Folgen ihrer Erlebnisse. Ihre Auswahl für den Film basiert – wie bei Bernd Stracke, Daniel Kaiser, Mita Schamal und Mike Göde – auf dem Umstand, dass sie in diversen Punk-Bands gespielt haben. Colonel galt als umtriebiges Unikum der Szene, Cornelia Schleime könnte als eine Art Mutterfigur durchgehen. Aber ihre Beteiligung wirkt konstruiert: Als akademisch ausgebildete Malerin, die bereits 1980 ihren Abschluss an der Dresdner Kunsthochschule machte, gehört sie eher zur Generation der sich ab Ende der 1970er-Jahre von der Staatskunst emanzipierenden Künstler. Ihre Band „Zwitschermaschine“ wurzelt im DDR-typischen Free Jazz, der später vom Punk beeinflusst wurde. Cornelia Schleime im Nachhinein als Punk zu etablieren, ist abwegig. Dass sie dennoch dabei ist, hat wohl eher mit ihrer starken Medienpräsenz zu tun, mit der Möglichkeit der historischen Vordatierung sowie mit der Verwendung ihres zwischen 1982 und 1984 gedrehten, beeindruckenden Super-8-Filmmaterials. Das aufblitzende Manipulationsprinzip deutet sich auch in anderen Momenten des Films an. Wie schon in der gleichnamigen Ausstellung 2005 in Berlin werden einerseits nicht ins Bild passende Entwicklungen oder Personen weggelassen, andererseits Elemente eingebaut, die sich aus heutiger Sicht gut verkaufen lassen. Der gelieferte Ausschnitt der DDR-Wirklichkeit wird als kurze, heroische Periode von singulärer Bedeutung beleuchtet, offenbart sich jedoch als Entwurf einer etwas eifersüchtig gehegten „reinen Lehre“ des Ostpunks. Ein wenig praktizieren die Macher selbst damit das wohlbekannte totalitäre Prinzip, wonach nicht sein kann, was nicht sein darf. Dieser Tunnelblick ist verzeihlich, er resultiert aus der stark subjektiven und kaum reflektierten Sichtweise der Dokumentation. Bezogen auf die massive Unterwanderung der ostdeutschen Punk-Szene durch inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit wird dann das fragmentarische Montageprinzip zum Ärgernis. Viel zu schnell wird von den sich auftuenden Rissen weggeschwenkt und wieder zum anekdotischen Nummernprogramm übergegangen.
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