Mit Verweis auf Betty Friedans klassisches Buch „Der Weiblichkeitswahn“ (1963) ließe sich, etwas überspitzt, behaupten, dass der Feminismus der Nachkriegszeit durch die gutsituierte Tristesse der amerikanischen Vorstädte angestoßen wurde. Denn wie die Journalistin feststellte, speiste sich die Frustration vieler Hausfrauen ihrer Generation aus dem Gefühl, in den Suburbs der weißen Mittelschicht vom öffentlichen Leben abgeschnitten zu sein. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass es im Kino der letzten Jahre eher Männer waren, die angesichts suburbaner Einöde depressiv wurden. Dabei konnten die Protagonisten von „American Beauty“
(fd 34 006) und „Broken Flowers“
(fd 37 208) auf die Sympathie des Publikums bauen, weil sie sich selbstironisch der Leere ihres Alltags bewusst waren. In Nebenrollen ließen Sam Mendes und Jim Jarmusch indes hysterische Frauen auftreten, die sich lächerlich machten, indem sie als Immobilienmaklerinnen die hohle Fassade Suburbias aufpolierten.
„Little Children“ kehrt, wie im Fernsehen „Desperate House-wives“, diese Perspektive wieder um und modernisiert damit in gewisser Weise Friedans Kritik. Das Interesse und die Sympathie von Todd Field und seinem Co-Autor Tom Perrotta, dem Verfasser der gleichnamigen Romanvorlage, gelten eindeutig ihrer Protagonistin Sarah, die nach der Heirat ihr Promotionsvorhaben abgebrochen hat und in ihrem isolierten Hausfrauen- und Mutterdasein vor den Toren Bostons keine Erfüllung findet. Ihr Ehemann erweist sich in der einzigen Szene, in der man ihn zu sehen bekommt, als Witzfigur auf sexuellen Abwegen; und auch Brad, in den sich die junge Frau Hals über Kopf verliebt, ist – bei Lichte besehen – ein dummer Junge. Gegenüber seiner Frau Kathy behauptet er, jeden Abend, nach Erfüllung der Hausmanns- und Vaterpflichten, in der örtlichen Bibliothek fürs bereits zweimal verpatzte Juraexamen zu pauken. Doch stattdessen hängt er seiner verflossenen Jugend nach, schaut Teenagern beim Skateboard-Fahren zu und schließt sich einer Thekenmannschaft zum Football-Spielen an.
Sarahs Affäre mit Brad beginnt harmlos, mit einem scherzhaften, nachmittäglichen Kuss auf einem Kinderspielplatz. Um ihre bornierten Nachbarinnen vor den Kopf zu stoßen, wettet sie, dass sie den attraktiven Unbekannten, der als einziger Vater regelmäßig sein Kind auf den Spielplatz einer Bostoner Vorstadt begleitet, ansprechen und seine Telefonnummer ergattern werde. Nachdem er im nervösen Flüsterton in die Wette eingeweiht worden ist, will Brad kein Spielverderber sein, doch er hat – wie auch die vermeintliche Aufreißerin – weder Stift noch Papier für den Beweis der Anmache zur Hand. Also verfällt Sarah, um die neugierigen Beobachterinnen richtig zu schockieren, auf die Idee, dass Brad sie kurzerhand umarmen oder – besser noch – ihr einen Kuss geben könnte. Diesen kurzen Wortwechsel sieht man in einer langen Einstellung, in der sich die Handkamera kaum rührt, bevor sie zu einer beschwingten Kurve ansetzt und dezent erahnen lässt, dass Sarahs Leben vom spontanen Kuss aus den Angeln gehoben wird.
Diese Inszenierung ließe sich als Fortsetzung jener präzisen Schlichtheit betrachten, die bereits Fields meisterliches Spielfilmdebüt auszeichnete, doch anders als „In the Bedroom“
(fd 35 378) vereinigt „Little Children“ unterschiedlichste Tonlagen und Stilmittel. Am prägnantesten wirkt ein Off-Kommentar, der ironische Distanz schafft und manchmal von kurzen stilisierten Sequenzen illustriert wird. Ungewöhnlich ist vor allem, wie Field den Pegel von Umweltgeräuschen manipuliert, um subtil Rhythmus und Ton einzelner Sequenzen zu modulieren. Das gilt im Besonderen für jene Szene, mit der in der zweiten Hälfte ein weiterer Erzählfaden etabliert wird, auf den zuvor nur in Dialogen angespielt wurde. In dessen Zentrum steht der haftentlassene Sexualverbrecher Ronnie, gegen dessen Anwesenheit in der Nachbarschaft wiederum ein Mitglied von Brads Football-Team, der ehemalige Polizist Larry, mobil macht. Dieser Subplot will nicht recht zur zentralen Handlung passen, weshalb zuletzt, wenn beide Erzählstränge auf eine dramatische Zuspitzung zulaufen, der konstruierte Charakter des Ganzen kaum zu übersehen ist.
Doch gerade das lässt die eigentliche Leistung von Field – und von Kate Winslet – umso bewundernswerter erscheinen: Obwohl die konstruierte Erzählstruktur sowie die anderen, bereits erwähnten formalen Eigenschaften des Films allesamt Distanz gegenüber dem Geschehen schaffen, wirkt Sarahs impulsive, private Rebellion nämlich schlicht mitreißend. Deshalb ist es auch gar nicht vermessen, wenn „Little Children“ eine naheliegende Referenz beim Namen nennt und in einer Szene Gustave Flaubert zum Gegenstand eines Hausfrauen-Buchclubs macht: Auf ihre Weise ist Sarah tatsächlich eine veritable Bovary der Vorstädte.