Bong Joon-hos „The Host“ beginnt wie ein Katastrophenfilm: Ein Prolog zeigt, wie Wissenschaftler einer US-amerikanischen Militärbasis giftige Substanzen in den Han-Fluss leiten, wodurch sich Mutationen bilden. Dann setzt, einige Jahre später, die eigentliche Handlung ein. Man lernt eine nette Familie aus Koreas Hauptstadt Seoul kennen, erlebt Passanten auf einer Ausflugswiese nahe dem Fluss. Plötzlich entsteigt ihm ein merkwürdiges Wesen. Es bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit fort und sieht aus wie eine absurde Kreuzung aus einer Riesenkaulquappe mit Haifischgebiss und dem „Alien“ aus Ridley Scotts gleichnamigem Klassiker
(fd 22 226). Offenbar sucht es auf der Wiese nach Beute. Wunderbar inszeniert der Film die folgende Massenpanik und das allgemeine Chaos unter den Ausflüglern. Unweigerlich denkt man an die Strandszenen aus „Der weiße Hai“
(fd 19 584), und trotzdem hat der Film mitunter den Witz von „Airplane“
(fd 22 711).
Der Koreaner Bong Joon-ho ist Kennern und Festivalbesuchern als einer der interessantesten Regisseure des koreanischen Gegenwartsfilms bekannt. Doch weder „Barking Dogs“ (2000) noch „Memoires of Murder“ (2003) kamen ins deutsche Kino – immerhin auf DVD kann man sie sich ansehen. Der dritte Film des Koreaners, der in seiner Heimat mit 13 Mio. Zuschauern als erfolgreichster Film aller Zeiten gilt, ist eine Mischung verschiedener Genreelemente zu etwas, was man am ehesten einen „Monster-Thriller“ nennen könnte – und eine ebenso scharfe wie kühl analysierende politische Satire. Denn ebenso wichtig wie die Jagd auf das Monster und die Rettung eines Schulmädchens, das dessen Gewalt überlebt hat, ist die Reaktion der Gesellschaft auf sein Auftauchen. Denn im Angesicht der Bedrohung durch die bösartige Kreatur zeigen sich die Menschen ebenfalls von ihrer unangenehmsten Seite. Erstaunlich, was Bong hier alles verarbeitet hat, ohne dass sein Film je an oberflächlichem Unterhaltungswert verliert: Im Kern erzählt „The Host“ von einer Familie, die sich verloren hat und über eine äußere Bedrohung wieder zusammenfindet, allerdings nicht ohne Opfer. Diese klassische, hochmoralische Story ist aber von allerlei weiteren Handlungssträngen umrankt; so geht es auch um das prekäre Verhältnis Südkoreas zu den USA und deren Neo-Kolonialismus, spielen doch die Vereinigten Staaten auch im heutigen Korea noch immer eine überaus unsympathische Rolle; ihre Militärbasen bilden dort eine Art Staat im Staat. Auch die USA zeigen Monster-Tendenzen, jedenfalls aus koreanischer Sicht. Wenn der Film erzählt, wie der Staat seine eigenen Bürger verfolgt statt das Monster, dann geht es natürlich um polizeistaatliche und autoritäre Tendenzen, die in der koreanischen Gesellschaft auch fast zwei Jahrzehnte nach der Diktatur immer noch präsent und mitprägend sind. Nicht zufällig wird eine der Hauptfiguren als einstiger Anhänger der demokratischen Opposition und Demonstrant der Studentenunruhen der Jahre vor 1988 vorgestellt. Ein Schwenk, der für die Ironie des Regisseurs typisch ist, ist dann, dass ihm das seinerzeit erlernte Bauen und Werfen von Molotow-Cocktails nun im Kampf gegen das Monster sehr nützlich ist. Natürlich geht es aber auch um Kritik am Korea der Gegenwart: Dies wird als ein Land der allgemeinen Korruption geschildert, wo Beziehungen alles sind: „Der Schwager von dem Mann einer Nichte meines Freundes, der ist auch bei der Polizei“, heißt es einmal.
Es geht auch um Pandemien wie die Vogelgrippe; der Regisseur lässt selbstverständlich aktuelle asiatische Erfahrungen über den Umgang mit SARS einfließen, wenn er zeigt, wie ein Virus geradezu „erfunden“ wird, wie die Angst vor „dem Virus“ sich scheinbar selbst inszeniert, plötzlich alle Menschen Masken vorm Mund haben, angeblich Infizierte in gelbe Plastiksäcke gepackt und der wissenschaftlichen Willkür preisgegeben werden – bis hin zu einer Gehirnoperation. Dann greift die WHO ein und entmachtet das Land. Ein realistisches Szenario, seit Korea 1997 während der asiatischen Krise kurzerhand unter Kuratel der Weltbank gestellt wurde. Die Kritik an diesem militärisch-sanitären Komplex und der Nutzung von Gesundheitsfragen zu versteckter Machtpolitik ist einer der prägnantesten der vielen Fäden dieses Films. Aber auch allgemeine Öffentlichkeitsmechanismen sind deutlich im Blick, wenn die Reaktion der Medien gezeigt wird, das Ausspähen und Vermarkten eines symbolischen Opfers – ausgerechnet eines US-Soldaten – und von symbolischen Infektionsträgern. Stilistisch reicht die visuelle Textur des Films von bestimmenden Einflüssen japanischer „Godzilla“-Produktionen bis zum italienischen Neorealismus. Die Kameraarbeit und die dynamische, konsequente Inszenierung sind von hoher visueller Präzision. Auch wenn es unangenehme Momente gibt und der Regisseur mit Schauer- und Ekeleffekten spielt, ist „The Host“ zu keiner Zeit ein Horrorfilm, und bei aller Ähnlichkeit will dieses Monster auch nie die beklemmende Wirkung und archetypische Kraft des „Alien“ entfalten. „The Host“ ist eine boshafte, ironische und intelligente Satire auf die südkoreanische Gegenwartsgesellschaft, eine frische „comédie humaine“, die ihresgleichen sucht – dagegen sehen viele andere Filme alt aus.